1980 in Moskau: Gänsehaut und Goldmedaillen
Die DDR in der Abwehrarbeit gegen einen Spieler der Sowjetunion. - Foto: Imago Images/Itar-Tass
11.06.2021 Verband

1980 in Moskau: Gänsehaut und Goldmedaillen

Die große DHB-Olympiaserie blickt heute zurück auf den einzigen Olympiasieg einer deutschen Mannschaft – die Final-Sensation der DDR gegen die Sowjetunion.

Die Spiele von Moskau gingen als die ersten großen Boykottspiele in die Olympische Geschichte ein - fast alle westlichen Staaten entsandten aufgrund des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan keine Mannschaften. So war auch die IHF gezwungen, Nachnominierungen für das Handballturnier vorzunehmen. An der Teilnehmerzahl – 12 Mannschaften bei den Männern, sechs bei den Frauen – sowie dem Turniermodus wurde nichts geändert. Die DDR gewann sensationell Gold bei den Männern, während die amtierenden Weltmeister aus dem Westen nicht antreten durften. Auch bei den Frauen gewann die DDR Edelmetall, Bronze nach Silber vier Jahre zuvor.  

Es war der 30. Juli 1980, und Wieland Schmidt war der große Held. Der Magdeburger Torwart wehrte den letzten Wurf der Sowjets in Person von Alexander Karschakewitsch ab und sorgte für den 23:22-Sieg des krassen Außenseiters und Gastgebers Sowjetunion nach Verlängerung im Finale von Moskau, nach 60 Minuten eines dramatischen Endspiels hatte es 20:20 gestanden. Der letzte Wurf prallte von Schmidts Unterarm an die Latte, und von dort zurück ins Feld.

„Wenn ich an dieses Spiel, und speziell die Siegerehrung denke, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut“, sagte Schmidt im DHB-Podcast 40 Jahre nach dem Triumpf von Moskau. „Wir waren definitiv nicht der Goldfavorit“, sagt Wieland Schmidt, „schon der Finaleinzug gegen die übermächtigen Sowjets war ein Riesenerfolg für uns, damit hatte niemand gerechnet.“

In der Vorrunde gab es ein Remis gegen Ungarn (14:14) sowie Siege gegen Spanien (21:17), Kuba (27:20), Dänemark (24:20) und Polen (22:21). Dass die DDR-Auswahl mit Legenden wie Peter Rost, Lothar Doering, Ingolf Wiegert oder Frank-Michael Wahl es ins Endspiel schaffte, lag auch an der Stirn von Schmidt. Mit dem Schlusspfiff des entscheidenden Vorrundenspiels gegen Polen wehrte er mit dem Kopf einen Strafwurf des späteren Olympia-Torschützenkönig Jerzy Klempel (insgesamt 44 Treffer) ab. „Ich bekam den Wurf volle Wucht gegen die Stirn, die Schmerzen waren es aber wert“, berichtet Schmidt vom 22:21-Erfolg.

Für das Finale hatten Trainer Paul Tiedemann und sein Assistent Klaus Langhoff eine einfache Taktik parat: „Wir müssen nur Geduld haben. Wenn wir nach 40 Minuten immer noch dran sind, werden die Sowjets hektisch.“ Genau so kam es. „Wir hatten ja nichts zu verlieren“, sagt Schmidt: „Und am Ende waren die Sowjets trotz der vollen Halle so nervös, dass wir sie geschlagen haben. Das war der schönste Tag meines sportlichen Lebens, von den Emotionen vielleicht noch vergleichbar mit meiner Hochzeit.“

Nach dem Feldhandball-Gold bei Olympia 1936 in Berlin stellte der Erfolg von Moskau den bislang einzigen Titel einer deutschen Hallenhandball-Mannschaft unter den fünf Ringen dar. „Es ist ein einzigartiger Erfolg, Olympia ist das Größte, deswegen war es ja unser großes Ziel, genau 40 Jahre später noch einmal um Olympiagold zu kämpfen“, sagt DHB-Präsident Andreas Michelmann, der das gleiche Ziel mit nun einjähriger Verspätung in Tokio anpeilt.

Frank-Michael Wahl, einer der 1980er Olympiasieger und heute Rekordspieler und Rekordtorschütze des DHB, war in Moskau bester Werfer mit 33 Toren: „Unser Gold von 1980 ist genau so viel wert wie der WM-Erfolg 1978 der BRD in Dänemark. Der Triumph in der Höhle des Löwen ist immer noch der schönste meiner Karriere.“ Auch Trainer Tiedemann sprach vor seinem Tod von seiner „schönsten Erinnerung, für mich das größte Spiel aller Zeiten“.

 

Olympiafinale am 30.Juli 1980:

DDR - Sowjetunion 23:22 n.V (10:10. 20:20)
DDR:
Wieland Schmidt (SC Magdeburg), Siegfried Voigt (SC Leipzig) - Hans-Georg Beyer (ASK Frankfurt/Oder/2), Peter Rost (SC Leipzig/4), Lothar Doering (SC Leipzig/3), Günter Dreibrodt (SC Magdeburg), Ernst Gerlach (SC Magdeburg), Dietmar Schmidt (ASK Frankfurt/Oder), Klaus Gruner (SC Leipzig), Rainer Höft (SC Dynamo Berlin), Hans-Georg Jaunich (SC Empor Rostock), Hartmut Krüger (SC Magdeburg/6/5), Frank-Michael Wahl (SC Empor Rostock/5), Ingolf Wiegert (SC Magdeburg/3) - Trainer: Paul Tiedemann, Co-Trainer: Klaus Langhoff

Frauen: Im zweiten Frauenturnier der Geschichte setzte sich hingegen erneut der Olympiagastgeber durch – und Igor Turtschin wurde nach 1976 zum zweiten Mal Goldtrainer für die Sowjetunion, gemeinsam mit seiner Frau Sinajda. Mit fünf Siegen in fünf Spielen lagen die Sowjets am Ende klar drei Punkte vor Silbermedaillengewinner Jugoslawien, der das Duell gegen den späteren Ersten klar mit 8:18 verlor und zudem einen Punkt gegen die DDR abgab. Die DDR-Auswahl um Waltraud Kretzschmar und Katrin Krüger war am Ende punktgleich mit Jugoslawien, hatte aber die schlechtere Tordifferenz.

Die Ergebnisse der DDR-Frauen: 16:10 gegen CSSR, 15:15 gegen Jugoslawien, 28:6 gegen Kongo, 19:9 gegen Ungarn, 13:18 gegen Sowjetunion

Der Kader der DDR-Frauen: Hannelore Zober, Katrin Krüger, Evelyn Matz, Roswitha Krause, Christina Rost, Petra Uhlig, Sabine Röther, Kornelia Kunisch, Claudia Wunderlich, Kristina Richter, Waltraud Kretzschmar, Marion Tietz, Birgit Heinecke, Renate Rudolph

Abschlussklassement Männer:

Gold: DDR, Silber: Sowjetunion, Bronze: Rumänien, 4. Ungarn, 5. Spanien, 6. Jugoslawien, 7. Polen, 8. Schweiz, 9. Dänemark, 10. Algerien, 11. Kuba, 12. Kuwait.

Abschlussklassement Frauen:

Gold: Sowjetunion, Silber: Jugoslawien, Bronze: DDR, 4. Ungarn, 5. CSSR, 6. Kongo

(BP)