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20190119_Blindenreportage

19.01.2019

Sven Bartlau rutscht nervös auf seinem Sitz hin und her. Im nächsten Moment reißt er die Arme nach oben, klatscht vor Freude in die Hände und bejubelt einen Treffer der deutschen Handballer. Die Arena bebt. Und Sven Bartlau ist mittendrin. 

"Ich habe noch nie ein Handball-Spiel live verfolgt und ich hätte nie gedacht, dass ich durch die Reportage so gut mitkomme und mir alles so gut vorstellen kann", sagt Bartlau. Er ist einer von bis zu 34 Zuhörern, die direkt unter dem Hallendach sitzen und den Beschreibungen der Blindenreporter bei den deutschen Spielen der Vor- und Hauptrunde in Berlin und Köln lauschen.

Erstmals bei einer Handball-WM gibt es eine Live-Reportage speziell für blinde und sehbehinderte Fans. "Wir wollen die Heim-WM und die besondere Atmosphäre in den Hallen für alle Menschen in Deutschland erlebbar machen", begründet Mark Schober, Vorstandschef des Deutschen Handballbundes (DHB), das besondere Angebot.

Die Premiere kommt bei allen Beteiligten sehr gut an. Möglich macht das Erlebnis, das in den meisten Bundesliga-Stadien im Fußball längst zum Standard gehört, das Projekt T_OHR. Dank einer Kooperation mit dem DHB und der Aktion Mensch ist die WM barrierefreier.

"Wir versuchen, genau das zu beschreiben und nachvollziehbare Bilder zu übersetzen, was gerade auf dem Spielfeld passiert – in Echtzeit, synchron zur Atmosphäre und mit möglichst vielen Details", sagt Reporter Broder-Jürgen Trede: "Wir reden permanent, ohne Pausen."

Der 44-Jährige, der die Spiele im Wechsel mit anderen Kollegen besetzt, ist ein Profi am Mikrofon. Seit Jahren besetzt Trede die Fußballspiele des Hamburger SV - nun darf er beim Handball ran. Seine Arbeit am Mikrofon beschreibt er als spannend und herausfordernd: "Unsere Wortfrequenz ist immens hoch."

Die Spiele der deutschen Mannschaft werden stets mit einem Reporter-Duo besetzt. Eine punktgenaue Absprache ist das A und O, deswegen hat Trede spezielle Grundsätze und Verabredungen für alle Reporter inklusive detaillierter Checkliste verfasst. Ein elementarer Punkt: Ein Reporter ist für ein Team verantwortlich. Das heißt, dass er immer nur dann spricht, wenn "sein" Team den Ball hat.

"Die Zuhörer verbinden auf diese Weise sehr schnell die jeweiligen Stimmen mit den entsprechenden Teams", erklärt Trede: "So kann die Rasanz und Dynamik des Handballs ideal vermittelt werden." 

Der Plan geht auf, das Konzept funktioniert. "Ich dachte immer, Handball sei zu schnell für die Reportage", sagt Bartlau, der bislang nur Fußballspiele live verfolgte, "aber das macht hier ja richtig Spaß." Als der Schlusspfiff ertönt, wird der deutschen Mannschaft zugejubelt. Anschließend fachsimpelt Bartlau noch lange mit den beiden Reportern.

Das Reportage-Projekt für blinde und sehbehinderte Handball-Fans - ein Musterbeispiel für gelebte Inklusion.

Quelle: SID