Trauer um Horst Singer
Letzter Feldhandball-Weltmeister von 1955 und Göppinger Linkshänder-Legende gestorben
Der deutsche Handball trauert um Horst Singer. Der letzte noch lebende Feldhandball-Weltmeister von 1955 starb an diesem Wochenende, wie die Stuttgarter Zeitung berichtete. Singer war zudem 1954 der Schütze des ersten Kempa-Tores der Handball-Geschichte. Am 2. März hatte der legendäre Linkshänder an seinem Wohnort Göppingen seinen 90. Geburtstag gefeiert, wenig später hatte ihn sein langjähriger Verein Frisch Auf in die Hall of Fame aufgenommen.
„Wir sind traurig über den Verlust, den der Tod von Horst Singer bedeutet. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie. Zugleich sind wir dankbar für alles, was wir mit seinem Leben und Wirken verbinden“, sagt Andreas Michelmann, Präsident des Deutschen Handballbundes. „Horst Singer war als jüngster der 1955er-Weltmeister eine der großen Persönlichkeiten des deutschen Handballs. Er wird immer einen Platz der Geschichte unserer Sportart behalten.“
Horst Singer wurde in Ulm geboren – daher resultiert auch sein Spitzname „Spatz“ in Anlehnung an das Wahrzeichen der Stadt. Er wuchs in Göppingen auf und kam mit zwölf Jahren zum Handball bei Frisch Auf. Mit der A-Jugendmannschaft wurde er 1951 Württembergischer Meister. Eine Deutsche Jugend-Meisterschaft gab es damals im DHB noch nicht – aber: Als 19-Jähriger war Horst Singer 1954 mit Frisch Auf Göppingen erstmals Deutscher Meister auf dem Feld und in der Halle gleichzeitig: Rund 7.000 begeisterte Zuschauer verfolgten im Eisstadion von Krefeld das Hallen-Finale der jungen Kempa-Buben aus Göppingen, die den Polizei SV Hamburg mit 10:7 besiegten und damit dessen große Ära als DHB-Abonnementmeister beendeten. „Das Endspiel in Krefeld war im Nachhinein betrachtet mein schönstes Meisterschaftserlebnis“, resümierte Linkshänder Horst Singer heute.
Dabei war das Jahr 1954 noch in ganz anderer Hinsicht ein besonderes für den jungen Rückraumspieler: Er war nämlich bei der Uraufführung des Kempa-Tricks am 24. März 1954 in der Schwarzwaldhalle von Karlsruhe im inoffiziellen Länderspiel der DHB-Auswahl gegen Schweden einer der beiden Hauptakteure: „Ich lief in Richtung Kreis-Mitte, als Bernhard Kempa von Rückraum-Links den Ball hoch in Richtung Torraum spielte. Nach dem Absprung vor dem Kreis nahm ich seinen Pass in der Luft ganz kurz an und warf den Ball in Richtung Tor“, beschrieb Horst Singer die Geburtssekunden des Kempa-Tricks und durfte sich zeit seines Lebens „handballhistorisch“ damit schmücken, das erste Kempa-Tor der Welt erzielt zu haben. Dem sind später natürlich ungezählte weitere aus der linken Hand von „Spatz“ gefolgt.
Der legendäre Bernhard Kempa (1920-2017) war damals Spieler zusammen mit Horst Singer, später sein Trainer bei Frisch Auf Göppingen und zugleich derjenige, der das große Handball-Talent Singer förderte und forderte: „Bernhard Kempa war ein Glücksfall für Göppingen, er war der beste Handballspieler der Welt auf dem Feld“, schwärmte Horst Singer immer noch. Beide gehörten damals auch zum Göppinger Aufgebot bei der IV. Feld-Weltmeisterschaft 1955 in der Bundesrepublik Deutschland. Das Weltturnier mit 17 europäischen Mannschaften und 33 Spielen in 33 verschiedenen Stadien war zugleich die erste Weltmeisterschaft in organisatorischer Regie des jungen DHB. Im Finale vor rund 50.000 Zuschauern am 10. Juli 1955 im Stadion Rote Erde in Dortmund gewann das DHB-Team mit 25:13 (11:7) gegen die Schweiz ... mit Horst Singer als mit Abstand jüngstem Spieler und zweimaligen Torschützen.
Horst Singer bestritt von 1955 bis 1960 insgesamt 23 Länderspiele im damals komplett weißen DHB-Trikot in der Halle und auf dem Feld; dabei erzielte er 68 Tore. Mit Frisch Auf Göppingen wurde der Jubilar sechsmal Deutscher Meister, davon zweimal draußen. 1962 gewann „Spatz“ mit Frisch Auf Göppingen als erste deutsche Mannschaft den Europapokal der Landesmeister. Zwischendurch war Singer während seiner Studienzeit in Berlin für den dortigen BSV 92 mit (Spieler-) Trainer Horst Käsler (später DHB-Bundestrainer) aktiv und wurde unter anderem 1965 Deutscher Studentenmeister mit der FU Berlin.
Horst Singer, der Spitzenhandballer im Göppinger Trikot mit der Nr. 2, wirkte beruflich als Oberstudienrat am Hohenstaufen-Gymnasium in Göppingen und unterrichtete dort die Fächer Sport und Geografie. Darüber hinaus betätigte er sich mehrere Jahre kommunalpolitisch. Sein sportliches Talent und der unnachahmliche Umgang mit dem Ball ist der Familie Singer mit Tochter Christina erhalten geblieben: Sie machte als Profispielerin im Tennis Karriere, war 1987 Deutsche Hallenmeisterin und erreichte Platz 39 in der Einzel-Weltrangliste.
(Prof. Dr. Detlef Kuhlmann/Tim Oliver Kalle)