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„Tempospiel wird immer wichtiger“

02.02.2021

Welche Aufgaben hatten Sie als Analyst während der WM? 
Jochen Beppler: Es gingen erst einmal um die Analyse der Spiele - und dieses Thema ist mit Ende des Turniers noch längst nicht abgeschlossen. Gemeinsam mit meinen Kollegen bringen wir quantitative Statistiken und qualitative Beobachtungen zusammen und leiten daraus Trends und Entwicklungen ab. Angesichts der Gesamtsituation war es natürlich nicht einfach, alle 32 Teilnehmer auch live zu sehen und zu analysieren. Ein weiterer Aspekt waren die Schiedsrichterschulungen. IHF-Schiedsrichterboss Ramon Gallego aber auch Dietrich Späte als Leiter der Trainerkommission legen sehr großen Wert darauf, dass auch die Trainersicht in die täglichen Schiedsrichterschulungen eingebracht wird. Ramon Gallego hat den Schritt hin zu den Trainern gemacht und Dietrich Späte hat den Weg bereitet, dass die Trainersicht generell mehr in die Arbeit der IHF einfließt. Daneben lebte meine Tätigkeit in Ägypten auch vom Austausch mit Nationaltrainern wie Jordi Ribeira, Dagur Sigurdsson und natürlich auch Alfred Gislason. 

Welche Trends kann man schon jetzt als wegweisend für die WM in Ägypten bezeichnen? 
Jochen Beppler: Ganz vorne zu nennen ist das Tempospiel, das auf jeden Fall signifikant verbessert wurde. Das liegt an mehreren Faktoren: Erstens hatte jede Mannschaft ein Spiel weniger als bei der vergangenen WM, zweitens hatte jede Mannschaft mindestens einen Tag Pause zwischen zwei Spielen und drittens wurde das Tempospiel auch deswegen intensiviert, weil die Trainer 20 statt 16 Spieler mitbringen durften. Für mich war das Tempospiel eines der zentralen Themen der WM, vor allem, wenn man sich die Spielweise der vier Halbfinalisten anschaut. Spanien hatten die meisten Gegenstöße, Dänemark die meisten Gegenstoßtreffer, bei den Schweden war das Tempospiel ebenfalls extrem ausgeprägt, als Musterbeispiel kann man sich das Spiel Schweden gegen Slowenien anschauen. Vor dem Hintergrund einer potenziellen Regeländerung bei der schnellen Mitte liegt im Tempospiel auch zukünftig eine noch stärkere Bedeutung. 

Was war zudem an taktischen Weiterentwicklungen erkennbar? 
Jochen Beppler: Die Angriffseffektivität ist nochmals leicht gestiegen oder hat sich auf hohem Niveau stabilisiert - was allerdings auch daran liegen kann, dass den Mannschaften zur Entwicklung kollektiver Abwehrtaktik unter anderem wegen der zuvor gespielten EM-Qualifikation deutlich weniger Vorbereitungszeit zur Verfügung stand. Was auffiel, ist die geringere Effizienz der Rückraumspieler aus der Fernwurfzone, aber dafür sahen wir deutlich mehr Durchbrüche und Tore aus der Nahwurfzone, das beste Beispiel dafür ist der junge Däne Mathias Gidsel. Aber diese Tore müssen auch durch andere Spieler vorbereitet werden, die die Räume für die Durchbrüche schaffen oder durch Pässe einleiten wie der Schwede Jim Gottfridsson oder die Dänen Morten Olsen und Mikkel Hansen.  

Gab es eine Position, die sich taktisch besonders verändert hat? 
Jochen Beppler: Am stärksten trifft dies wohl auf die Position des Kreisspielers zu. Es gibt kaum eine Position mit so komplexen Anforderungen sowohl in der Abwehr als auch im Angriff, und dies alles vor dem Hintergrund der Tempoentwicklung. Ein Spezialistenwechsel ist die absolute Ausnahme geworden und wird durchgängig fast nur noch von Nordmazedonien praktiziert. 

Zudem muss man sagen, dass viele eben genannte Durchbruchspieler oftmals auch von Bewegungen der Kreisspieler profitieren. Waren dies zuletzt vor allem direkte und indirekte Sperren, so kommen immer mehr gezielte Bewegungen hinzu, die Isolierungen und große Räume schaffen bzw. vorbereiten. Genau genommen ist somit nicht nur der Passgeber, sondern auch der Kreisspieler Assist für solche Tore. Bei dieser Entwicklung haben für mich somit auch Kreisspieler das Potenzial für zukünftige MVP. 

Wie sieht gerade auf dieser Position denn die Situation bei deutschen Talenten aus? 
Jochen Beppler: Leon Ciudad-Benitez, Marc Walter oder auch Tom Bergner sowie Fynn Nikolaus bei den Jungs sowie Kimberley Gisa, Sophie Pickrodt oder Merle Albers haben - wie auch ein paar andere - das Potenzial für diese Position. Dafür gilt es allerdings, viel zu investieren und dieses Ziel jeden Tag zu verfolgen. Mit Blick auf die Heimturniere 2023, 2024, 2025 und 2027 hat der deutsche Nachwuchs insgesamt ein tolles Potenzial, das es auszuschöpfen gilt. 

(BP)