„Wir müssen wieder Leistung entwickeln“
Foto: Sascha Klahn
26.08.2021 A-Männer

„Wir müssen wieder Leistung entwickeln“

Kurs EHF EURO und Olympische Spiele 2024: DHB-Sportvorstand Axel Kromer zum weiteren Weg der Nationalmannschaft

Das Handballturnier bei den Olympischen Spielen in Tokio mit dem Viertelfinal-Aus gegen Ägypten hallt noch immer nach. Kapitän Uwe Gensheimer und Linkshänder Steffen Weinhold haben ihre Laufbahn in der Handball-Nationalmannschaft beendet, Abwehrchef Hendrik Pekeler pausiert bis auf Weiteres und Torwart Johannes Bitter steht nur noch für den Notfall zur Verfügung. Axel Kromer, Vorstand Sport des Deutschen Handballbundes, sowie Bundestrainer Alfred Gislason und dessen Co-Trainer Erik Wudtke haben dies in ihrer Analyse und Planung des weiteren Weges bereits berücksichtigt. 

Der Kalender der kommenden Höhepunkte reicht von der EHF EURO 2022 im kommenden Januar, über die WM 2023 hin zur EHF EURO 2024 in Deutschland und den nächsten Olympischen Spielen im Sommer desselben Jahres. Letztere beginnen in etwas mehr als 1000 Tagen. Was zu tun ist auf dem Weg zu den nächsten großen Stationen, sagt Axel Kromer. 

Wie ist der Status der Handball-Nationalmannschaft? 
Kromer: In Kürze: Weiterhin enttäuscht über das Ausscheiden im Viertelfinale des olympischen Handballturniers – aber längst aktiv, um das zu verändern und zu entwickeln, was für Erfolg notwendig ist. Dafür sind Alfred Gislason, Erik Wudtke und ich sehr schnell in die Analyse gegangen. Erste Ergebnisse habe ich bereits dem Präsidium des Deutschen Handballbundes vorstellen können. 

Als da wären? 
Kromer: Oberste Prämisse für uns muss sein, dass wir auch in der Nationalmannschaft wieder verstärkt Leistung entwickeln. Dafür ist es unverzichtbar, dass wir wieder mehr gemeinsam in der Halle arbeiten. Heißt: Es geht uns auch darum, was wir von unseren Nationalspielern künftig verlangen werden. Damit werden wir spätestens im November beginnen. In den vergangenen Monaten haben wir, bedingt durch die aufgrund der Corona-Pandemie intensive und lange Saison, doch sehr auf die mitgebrachte Ermüdung geachtet und daher die Regeneration zusammen mit der mannschaftstaktischen Ausrichtung im Vordergrund gestellt. Wir müssen aber in normaler werdenden Zeiten zwingend auch wieder individuelle und gruppentaktische Schwerpunkte setzen, die naturgemäß auch körperlich etwas mehr beanspruchen. 

Ein kleiner Blick zurück: Das Bild der Nationalmannschaft ändert sich. 
Kromer: Ja, weil Uwe Gensheimer und Steffen Weinhold ihre internationale Laufbahn beendet haben, Hendrik Pekeler bis auf Weiteres pausiert, und Johannes Bitter nur noch für den Notfall bereitsteht. Es ändert sich aber auch, weil im Frühsommer noch verletzte Spieler wie beispielsweise Fabian Wiede zurückdrängen und wir ohnehin einige Neue im Umfeld der Nationalmannschaft kennenlernen werden. Ganz sicher verlieren wir Erfahrung, aber die neuen und jungen Spieler werden umso mehr brennen. Ohne die Vergangenheit zu verklären: Ein gewisses Niveau haben wir immer – das wissen wir spätestens seit 2016. Was junge Spieler in Deutschland an Qualität und Elan mitbringen, haben wir gerade erst beim Gewinn der U19-Europameisterschaft erkennen können. 

Ohne die angesprochene Entwicklung von Leistung auch im Umfeld der A-Nationalmannschaft wird das jedoch nicht funktionieren. Wo haben Sie beim Blick in den Kalender Trainingszeiten aufgespürt? 
Kromer: Zunächst müssen wir vor allem in den vorhandenen Lehrgängen nachsteuern, aber auch weitere Maßnahmen in die kommenden Monate integrieren. Ohne gemeinsame Zeit, keine gemeinsame Entwicklung. Mit der Bundesliga stehen wir dazu im Kontakt. Der Wille ist bei allen Beteiligten da, aber die Größe der Aufgabe, Termine zu finden, ist leider durch die erneute Formulierung unseres Bedarfes nicht kleiner geworden. 

Was genau ist Ihre Idee? 
Kromer: Kurzlehrgänge können uns helfen. Dafür lässt der Kalender in einer normalen, nicht von der Corona-Pandemie überschatteten Spielzeit eingeschränkte Möglichkeiten. Sonntagabends anreisen, montags und dienstags in der Summe vier Trainingseinheiten, dann wieder zurück in die Vereine. Das kann ein Anfang sein, und wir wissen um die damit verbundenen Herausforderungen, da insgesamt sechs Bundesligisten an den europäischen Vereinswettbewerben teilnehmen und wir alle flexibel planen müssen. Dazu werden wir über unsere Netzwerke in den intensiven Austausch mit den Trainern und Geschäftsführer*innen der Bundesliga treten. Wichtig wird die Rückendeckung für die Teilnahme an allen Nationalteammaßnahmen der Vereine für unsere Spieler sein. 

Zu viel Zeit bleibt wie immer nicht… 
Kromer: Richtig. Bis zu den Olympischen Spielen 2024 sind es noch etwas mehr als 1000 Tage. Im Januar 2024 wollen wir ebenso freundlicher wie erfolgreicher Gastgeber der EHF EURO 2024 sein – und auf dem Weg zu diesen beiden Großereignissen müssen wir jede Gelegenheit nutzen, um bestmöglich aufzutreten. 

Man könnte doch mal ein Turnier weglassen… 
Kromer: Eben nicht. Bei der EHF EURO 2022 müssen wir uns mindestens für die kurz darauffolgenden WM-Play-offs in eine ordentliche Position bringen, bei der WM 2023 geht es um die Olympia-Qualifikation. Und die Highlights 2024 sind bekannt. Außerdem erwartet die Öffentlichkeit zu Recht eine Handball-Nationalmannschaft, die immer an ihr Optimum heranreicht. Sollten wir keine weiteren Maßnahmen in den Kalender integrieren können, hat die deutsche Nationalmannschaft bis zur EHF EURO 2022 im Januar außer der direkten, unmittelbar nach dem Jahreswechsel beginnenden Vorbereitung lediglich eine kurze Nationalteam-Woche im November. Da müssen wir alle gemeinsam wie oben erwähnt Lösungen suchen und zusätzliche Zeitfenster finden. 

Das Bild der Nationalmannschaft war bereits Thema. Mit welchem Personal werden Bundestrainer Alfred Gislason und Co-Trainer Erik Wudtke die Arbeit fortsetzen? 
Kromer: Der Kreis potenzieller Nationalspieler wird größer. Schon zum Lehrgang im November rechne ich mindestens mit einem 20er-Aufgebot und auch einigen noch unbekannten Akteuren. Eventuell sogar mit dem einen oder anderen Zweitligaspieler, denn wir müssen einige positionsspezifische Aufgaben lösen. Mit Blick auf 2024 haben wir einen großen Kader im Blick, aber ich freue mich schon jetzt auf den einen oder anderen Überflieger, der aktuell noch nicht in unserer Liste auftaucht. 

Wo hat die deutsche Handball-Nationalmannschaft denn den größten Bedarf? 
Kromer: Wir müssen die Lücken schließen, die Gensheimer, Weinhold, Pekeler und Bitter hinterlassen. Und wir müssen die Lücke schließen, die wir in den letzten Turnieren zu den besserplatzierten Nationen aufgezeigt bekommen haben. Im Speziellen brauchen wir Alternativen für den Mittelblock. Da hat es uns perspektivisch sehr gefreut, dass unsere U19-Europameistermannschaft eine sehr agile und doch kompakte 6:0 Formation gestellt hat. Idealerweise entwickeln wir auch neue, zusätzliche Profile wie überdurchschnittlich abwehrstarke Außen, die wir auf den Halbpositionen einsetzen können. Insgesamt geht es um mehr Qualität in der Nationalmannschaft. Man muss sich mal vor Augen führen, dass bei Olympiasieger Frankreich Nicola Karabatic und Kentin Mahé während des Turniers in Tokio in jeder Halbzeit meist erst nach einer Viertelstunde die Platte betreten haben. Das waren im olympischen Handballturnier absolute Weltstars auf der Auswechselbank, die erst im Laufe einer Partie gekommen sind!

Und sonst? 
Kromer: Mir geht es auch ums Selbstverständnis unserer Nationalspieler und ganz allgemein den Stellenwert der Nationalmannschaft in Handball-Deutschland. Ein paar Beispiele: Für den Franzosen Dika Mem beispielsweise war es 2017 keine Frage, ein halbes Jahr nach dem Gewinn des Titels bei der Männer-WM auch zur U21-WM nach Algerien zu fliegen, um dort ebenfalls nach Gold zu greifen. Wohl gemerkt als junger Spieler des FC Barcelona. Diesem hatte er sich 2016 angeschlossen und danach kein einziges Nachwuchsturnier für die Nationalmannschaft ausgelassen. Auch nicht die Junioren-EM2016, die quasi genau in seinen Wechsel gefallen ist. In Spanien wiederum spielen die Oldies immer weiter, und zu Nikola Karabatic und dessen Wille, für Frankreich aufzulaufen, müssen wir keine Worte verlieren, oder? Wir müssen unseren Weg finden, dürfen dabei aber ruhig mal den einen oder anderen Blick auf unsere Nachbarn wagen. Wenn wir alle zusammen lernen, freue ich mich sehr auf die Zukunft. 

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