KLAHN_03-01-20_119793.jpg

20200801_Interview_Böhm

09.01.2020

Auf dem Feld einer der Wortführer, einer der Kämpfer, abseits eher ein ruhiger Geselle und kluger Kopf: DHB-Rückraumspieler Fabian Böhm (30) sagt von sich selbst, er habe zwei Gesichter. Vor dem ersten EM-Spiel in Trondheim gegen die Niederlande am Donnerstag (18.15 Uhr, live im ZDF) hat Böhm ein Gefühl aus Kribbeln und Vorfreude. Wie er zu seinem Namen „Krieger“ und zu Bundestrainer Christian Prokop steht, wie er mit Insiderwissen zu einem Erfolg gegen Spanien sorgen soll und welche Rolle im neuformierten Rückraum erfüllt, berichtet der Kapitän des TSV Hannover-Burgdorf in diesem Interview.

Wie oft werden Sie von der berühmten Aussage von Bundestrainer Christian Prokop „er ist mein Krieger“ konfrontiert worden?
Fabian Böhm: Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, vor allem von Journalisten kommt diese Frage immer wieder. Das ist ja klar, es ist ja auch ein cooles Synonym für meine Persönlichkeit, aber ich werde genauso oft von der Mannschaft damit aufgezogen. Grundsätzlich war das ja ein großes Kompliment von Christian gewesen, denn es spricht für seine Sicht auf meine Mentalität, also eigentlich freut es mich.

Abseits des Feldes sind Sie aber eher ein ruhiger Krieger?
Fabian Böhm: Abseits des Feldes ja, grundsätzlich bin ich ein sehr offener, aufgeweckter und gesprächiger Typ. Auf dem Feld ist das aber schon anders. Um meinen besten Handball zu spielen, brauche ich diese Emotionalität, meinen Kampf – und daher kommt der Name Krieger. Aber generell habe ich zwei Gesichter.

Wie ist in diesem Zusammenhang Ihr Verhältnis zu Christian Prokop?
Fabian Böhm: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Christian ist ein sehr angenehmer Mensch, und wir haben eine sehr offene Kommunikation. Wenn man Probleme hat, kann man sehr offen mit ihm darüber sprechen. Er macht sowohl Ansagen, lässt aber auch Spielraum – so wie das klassische Zuckerbrot und Peitsche. Auch wenn die Peitsche bei Christian nicht so groß ist, gibt es sie trotzdem.

Die Heim-WM 2019 war Ihr erstes großes Turnier. Welche Erfahrungen nehmen Sie als Basis für die EM 2020 mit?
Fabian Böhm: Die Ruhe zu bewahren, weil so ein Turnier echt lang ist, und trotzdem alles in die Waagschale zu werfen. Bei einer WM oder EM darf man nicht taktieren. Das haben wir bei der WM zum Beispiel gegen Russland oder Serbien erlebt, da darf man nicht mit halber Kraft rangehen, das sind alles Topnationen, die dich schlagen können, wenn du nicht bereit bist. Das Wichtige ist also, keine Kräfte zu verschwenden, aber dennoch immer den Fokus aufs nächste Spiel zu haben, egal wie das vorherige Spiel gelaufen ist. Ein Turnier ist lang – und am Ende wird die Mannschaft erfolgreich sein, die vom Kopf her am längsten frisch bleibt und bei der die Beine noch mitspielen.

Bringt es Ihnen zusätzliches Selbstvertrauen fürs Nationalteam, dass Sie mit Hannover-Burgdorf bislang eine überragende Saison in der Bundesliga gespielt haben?
Fabian Böhm: Mir persönlich gibt das eine gewisse Sicherheit, denn es ist ja auch eine Bestätigung, wenn man in der Liga gute Leistungen bringt. Ich bin jetzt rund zwei Jahre beim Nationalteam, da mache ich mich nicht mehr vor jedem Training verrückt. Trotzdem komme ich auch nicht zum Nationalteam und sage: Ich bin jetzt Erster in der Liga, erzählt mir mal nix, sondern ich bin ganz entspannt und ruhig, weil ich um meine Qualitäten und Stärken weiß. Das gibt Ruhe und Sicherheit. Ich habe jetzt eine andere Rolle im Team als noch vor einem Jahr, auch weil einige Führungsspieler weggebrochen sind. Auch wenn ich noch keine 500 Länderspiele habe, bin ich ein Spieler, der seit vielen Jahren in der Bundesliga spielt und der Verantwortung übernehmen möchte.

Spüren Sie vor der EM einen gewissen Druck?
Fabian Böhm: Es ist definitiv kein Druck, der mich belastet – und Druck ist ja auch etwas Schönes. Man wächst mit seinen Erlebnissen, von daher denke ich gar nicht so viel darüber nach. Ich habe gerne den Ball und entscheide gerne, aber ich muss ihn auch nicht haben. Hauptsache ist, dass wir gewinnen. Ich will der Mannschaft dabei bestmöglich helfen.

Aber die Vorfreude ist da?                                                                                                                                                                                                                                 Fabian Böhm: Ja auf jeden Fall, das ist Vorfreude und Kribbeln. Ich bin froh, dass es jetzt endlich losgeht.

Beim TSV Hannover-Burgdorf haben Sie ein spanisches Trainergespann mit Carlos Antonio Ortega und Iker Romero – wurde da schon ein bisschen über das deutsch-spanische EM-Duell gescherzt?
Fabian Böhm: Iker war der Teammanager der Spanier, ist aber bei der EM wegen der Geburt seines zweiten Kindes nicht dabei, deswegen gab es noch nicht so viele Gespräche. Aber das wird einen oder zwei Tage vor dem Spiel sicher noch kommen. Und wegen der beiden Niederlagen bei der EM 2016 und der WM 2019 hat er sich dieses Mal nicht so weit aus dem Fenster gelehnt. Das wird aber definitiv ein sehr wichtiges Spiel gegen Spanien, speziell, was die Punkte für die Hauptrunde betrifft. Natürlich werde ich Ratschläge geben, aber auch jeder spanische Trainer ist anders.

Aber die beiden übrigen Vorrundengegner, die EM-Debütanten Lettland und Niederlande, nehmen Sie nicht auf die leichte Schulter?
Fabian Böhm: Überhaupt nicht. Wir wissen, dass jedes Spiel erst einmal gespielt werden muss und wir in jedem Spiel ein gewisses Limit erreichen müssen, um zu gewinnen, egal, wieviel Qualität wir in unserem Kader haben. Die Niederländer verfügen über viele Bundesligaspieler, die nicht umsonst in der stärksten Liga der Welt auflaufen. Und daher wird heute der Auftakt ein sehr schweres Spiel. Trotzdem sind wir der Favorit und wollen dieser Rolle auch gerecht werden. Wir wollen und wir müssen das gewinnen.

Nach den vielen verletzungsbedingten Ausfällen muss im Rückraum improvisiert werden, es wird viel gewechselt werden. Sind die Rollen dann anders verteilt?
Fabian Böhm: Trotz aller Ausfälle haben wir noch genug spielerische Qualität, man muss sehen, wie sich die neuen Konstellationen finden. Aber wir haben auch schon bei der Heim-WM relativ häufig gewechselt. Wir sind das also gewöhnt, und jeder Einzelne hat die Qualität für solche Wechsel. Wir müssen also sehen, wie und wie oft unsere Dreier-Reihen rotieren und wechseln. Aber große Gedanken mache ich mir darüber nicht.

(BP)