Geschlagen nur vom Weltmeister
Die ägyptische Nationalmannschaft. - Foto: Marco Wolf
02.08.2021 A-Männer

Geschlagen nur vom Weltmeister

Ägypten im Gegnerportrait: Im letzten Olympiatest gelang der der deutschen Mannschaft ein 29:27 gegen den Afrikameister, nun wartet in Tokio eine hohe Hürde

Als sich die Spieler aus Deutschland und Ägypten am 11. Juli in Nürnberg voneinander verabschiedeten, konnten sie nicht ahnen, dass sie sich so schnell wieder auf dem Feld wiedersehen würden. 23 Tage nach dem 29:27-Testspielsieg der DHB-Auswahl treffen beide Mannschaften am Dienstag (13.45 Uhr deutscher Zeit) in Tokio im Olympischen Viertelfinale aufeinander, zum zweiten Mal in Folge nach Rio 2016 geht es für die DHB-Männer gegen einen nicht-europäischen Kontinentalmeister – seinerzeit zog die Mannschaft durch ein souveränes 34:22 gegen Katar ins Halbfinale ein. Die deutsche Mannschaft gewann 27 der 35 Duelle gegen Ägypten, bei einem Remis und sieben Niederlagen.

Die Aufgabe von Tokio wird aber bedeutend schwerer werden, denn die Ägypter um den früheren Flensburger Ahmed El-Ahmar präsentieren sich bärenstark bei Olympia. "Ägypten hat in den letzten Monaten tolle Leistungen gezeigt und sind zu einer tollen Handball-Nation geworden“, so DHB-Vorstand Sport Axel Kromer. In Gruppe B wurde die Mannschaft von Trainer Roberto Parrondo Zweiter hinter Weltmeister und Olympiasieger Dänemark – und die Dänen waren auch das einzige Team, das Ägypten in der Vorrunde bezwingen konnten (32:27).

Dafür setzte sich Ägypten souverän gegen Vizeweltmeister Schweden (27:22) und den EM-Sechsten Portugal (37:31) durch, daneben gab es Erfolge gegen Japan (33:29) und Bahrain (30:20). Neben Bahrain (Gruppenvierter) ist Ägypten das einzige nicht-europäische Team im Viertelfinale von Tokio. „Wir haben uns bislang gut präsentiert und wollen ins Halbfinale einziehen“, sagte Topstar Omar Yahia vom Spitzenklub Telekom Veszprem, der mit Ahmed Mohamed aktuell bester ägyptischer Werfer mit 22 Treffen ist. Vier Spieler haben in den fünf Vorrundenspielen jeweils 20 und mehr Tore erzielt. Stark sind auch die erfahrenen Torhüter Karim Hendawy (27 Paraden) und Mohamed Eltayar (34 abgewehrte Würfe, und damit mehr als Johannes Bitter und Andy Wolff, jeweils 31).

Bei Olympischen Spielen trafen Deutschland und Ägypten bereits sieben Mal aufeinander, zweimal siegten die Nordafrikaner (22:21 in Sydney 2000 und 24:22 in Atlanta 1996), fünfmal gewann die DHB-Auswahl, zuletzt mit 31:25 vor fünf Jahren in Rio – gegen keine andere nicht-europäische Mannschaft spielte eine DHB-Auswahl häufiger unter den fünf Ringen. Das Viertelfinale am Dienstag ist allerdings das erste K.o.-Spiel bei Olympischen Spielen gegen eine afrikanische Mannschaft.

Neben Yahia spielen vier weitere Ägypter aus dem aktuellen Olympiakader in Europa – Ahmed Mohamed und Mohamed Sanad im französischen Nimes, Mohamed Shebib ist Teamkamerad von Christian Dissinger bei Dinamo Bukarest in Rumänien und Ali Zein ist gerade aus Kairo zum Champions-League-Sieger FC Barcelona gewechselt.

Und alle diese Europa-Erfahrung warfen sie bei der Heim-WM im Januar in die Waagschale, inklusive einer Partie für die Ewigkeit, auch wenn am Ende Tränen beim Gastgeber flossen: das Viertelfinale zwischen Ägypten und Dänemark war ein episches Duell mit zwei Roten Karten inklusive Strafwürfen mit Schlusspfiff von regulärer Spielzeit und erster Verlängerung, dann einem Siebenmeterwerfen, in dem der Kieler Welthandballer Niklas Landin zum Helden des späteren Weltmeisters wurde. Aber das 38:39 brachte auch dem Verlierer viele Sympathien ein, die Ägypter hatten der Handball-Welt bewiesen, wie stark sie sind – und schafften es nun in Tokio Revanche für die Vorrunden-Niederlage gegen Schweden zu nehmen. „Ägypten hat eine überragende Mannschaft und war schon bei der WM ein Geheimfavorit für mich“ findet Youngster Juri Knorr. „Wir können nur mit 100 % Leistung und Bereitschaft bestehen".

Nach langjähriger Aufbauarbeit auch durch den deutschen Trainer Jörn-Uwe Lommel haben zwei Spanier den Afrikameister schließlich ganz nach oben gebracht: Zunächst David Davis (bis Mitte Juni Trainer in Veszprem) und nach der WM 2019 Parrondo. Im Mai 2019 führte er Vardar Skopje zum Champions-League-Titel, danach übernahm der zweifache CL-Sieger als Spieler die Ägypter. Und die hatten 2019 (noch unter Davis) nicht nur bei der WM mit Rang acht für Furore gesorgt, sondern auch im Nachwuchsbereich: bei der U19-Weltmeisterschaft holten sie den Titel durch einen Finalsieg gegen Deutschland, bei der U21 zogen sie ebenfalls ins Halbfinale ein und gewannen Bronze. Aus dieser Mannschaft waren nun bei der Heim-WM im Januar die ersten Spieler schon mit an Bord. Bei der WM 2001 waren die Ägypter mit ihrem damaligen Weltstar Hussein Zaky erste afrikanische Mannschaft in einem WM-Halbfinale gewesen. „Sie haben sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt“, stellt Torhüter Johannes Bitter fest. „Es ist eine junge, interessante Mannschaft, die vielleicht noch nicht über die absolute internationale Erfahrung verfügt, aber wahnsinnig stark einzuschätzen ist.“

„Wir haben unser erstes Ziel in Tokio, das Viertelfinale, erreicht, und haben gezeigt, dass wir auch gegen Topnationen mithalten und sogar gewinnen können“, sagte Parrondo. Für Bundestrainer Alfred Gislason ist der aktuelle Afrikameister „in den nächsten Jahren kontinuierlich ein Medaillenkandidat. Der spanische Stil gepaart mit physischer Stärke ist schon Klasse.“

Deutsche Bilanz gegen Ägypten:
Gesamt:
35 Spiele – 27 Siege – 1 Remis – 7 Niederlagen – Tordifferenz: 864:729
bei Olympischen Spielen: 7 Spiele – 5 Siege – 0 Remis – 2 Niederlagen (Ergebnisse: 31:25 in Rio 2016, 25:23 in Peking 2008, 26:14 in Athen 2004, 21:22 Vorrunde in Sydney, 24:18 Platzierungsrunde in Sydney 2000, 22:24 1996 in Atlanta, 24:16 1992 in Barcelona)

(BP)

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