Neustart mit spanischem Chef
Die ungarische Nationalmannschaft. - Foto: Imago Images/Xinhua
16.03.2022 A-Männer

Neustart mit spanischem Chef

Als EM-Gastgeber schied Ungarn bei der EM bereits nach der Vorrunde aus - nun übernimmt Chema Rodriguez die Mannschaft, die am Wochenende zweimal auf Deutschland trifft

Ungarn gegen Deutschland - das ist im Männer- und im Frauenhandball ein Klassiker, wobei die ungarischen Frauen deutlicher erfolgreicher waren als die Männer. Vor allem bei Olympischen Spielen hatte der kommende Testspielgegner der DHB-Männer unglaublich viel Pech: Viermal (1980, 1988, 2004, 2012) stand man unter den fünf Ringen in Halbfinals, viermal reiste man ohne Medaille als Vierter wieder nach Hause. Das einzige Edelmetall sicherte sich ein Männerteam dieser großen Handballnation mit Silber bei der WM 1986 in der Schweiz.

Damals ein absoluter Star, der auch in Deutschland deutliche Spuren hinterlassen hatte: Peter Kovacs, in den 1980er und 1990er Jahren einer der besten Handballer der Welt. Von 1984 bis 1992 spielte Kovacs in der Bundesliga für Dortmund, Großwallstadt, Essen und Hameln, bereits 1976 feierte der heute 66-Jährige sein Olympiadebüt in Montreal. 1978, als Deutschland durch den Finalsieg über die Sowjetunion in Kopenhagen sensationell Weltmeister wurde, war Kovacs gemeinsam mit dem zu früh verstorbenen Polen und früheren Bundesligaprofi Jerzy Klempel Torschützenkönig. Mit 40 Jahren feierte der wurfgewaltige Rückraumspieler bei der WM 1995 auf Island nochmals ein Comeback im Nationalteam.

Mit 1797 Toren in 323 Länderspielen war der Ungar bis zur EM 2018 „Weltrekordhalter“, was Treffer im Nationaltrikot betrifft, dann wurde er vom heutigen Gummersbacher Trainer Gudjon Valur Sigurdsson überholt. Noch heute ist Kovacs dem Handball treu geblieben, ist Lektor und Analyst für die EHF, nachdem er als Trainer unter anderem Pick Szeged, Dunaferr, die ungarische Juniorenmannschaft der Frauen, die türkische Frauen-Nationalmannschaft sowie den rumänischen Frauen-Spitzenklub Oltchim Valcea übernommen hatte.

Noch längere Zeit in der Bundesliga - allerdings als Trainer - verbrachte ein anderer Ungar: Lajos Mocsai, der von 1989 bis 1998 in Deutschland war. Mit dem TBV Lemgo wurde er 1995 DHB-Pokalsieger und 1996 EHF-Pokalsieger. Nach sieben erfolgreichen Jahren wechselte er dann zur Saison 1996/1997 zum TuS Nettelstedt. Dort gewann er zwar 1997 den City-Cup, wurde aber nach 18 Monaten bereits wieder entlassen.

Anschließend wurde er Trainer der ungarischen Frauen-Nationalmannschaft. In seinen sechs Jahren als Cheftrainer wurden die ungarischen Frauen 2000 Europameister und Zweiter bei Olympia, 2003 Vize-Weltmeister und EM-Dritter 1998. 2005 folgte kurzes, aber sehr erfolgreiches Intermezzo als Trainer des VfL Gummersbach. Unter ihm blieben die Oberbergischen ungeschlagen, holten 17:1 Punkte. Da er von seinem damaligen Arbeitgeber, der Semmelweis-Universität Budapest, keine Freigabe für eine Verlängerung seines Vertrages erhielt, musste er nach wenigen Monaten wieder zurück in seine Heimat, wo er von 2007 bis 2012 Trainer von MKB Veszprém wurde, mit dem er neben zahlreichen nationalen Trophäen 2008 den Europapokal der Pokalsieger gewann. Der heute 68-Jährige übernahm danach - von 2010 bis 2014 - die ungarische Männer-Nationalmannschaft. Dort coachte unter anderem auch seinen Sohn Tamas, der fast seine komplette Karriere in der Bundesliga (unter anderem Kronau, Nettelstedt, Flensburg, Lemgo und Hannover) spielte, bevor er die letzten Jahre für Veszprém auflief.

Dieser Verein vom Plattensee ist seit mehreren Dekaden das Nonplusultra im ungarischen Handball - außer in der vergangenen Saison, als Pick Szeged sich mal wieder die nationale Meisterschaft sicherte. Der große internationale Wurf - mit Ausnahme des Titels im Pokalsiegerwettbewerb 2008 - blieb allerdings aus: Viermal stand Veszprém im Finale der Champions League, verlor aber alle vier Endspiele (gegen Magdeburg 2002, Barcelona 2015, Kielce 2016 und Vardar Skopje 2019).

Mittlerweile hat man in Veszprém eine Kehrtwende vollzogen: Statt fast ausschließlich auf internationale Stars setzt man nun auch verstärkt auf Ungarn, wie zum Beispiel Spielmacher Mate Lekai oder die Abwehrchefs Adrian Sipos und Patrick Ligetvari. Zahlreiche Talente, die parallel zu den beiden Männer-Testspielen in Siofok gegen die deutsche U20 antreten, spielen für Veszprém und haben dort auch schon Erfahrung in der Champions League gesammelt.

Die beiden Publikumslieblinge laufen aber für den Dauerrivalen aus Szeged auf: Torwart Roland Mikler, der 2014 mit Pick den EHF-Cup gewann und später auch für Veszprém spielte, ehe er zurückkehrte, und der bullige Kreisläufer Bence Banhidi, der bei der EM 2020 ins Allstar-Team gewählt wurde. An ihn hat die deutsche Nationalmannschaft definitiv keine guten Erinnerungen, denn er war bei der WM 2021 in Ägypten mit seinen Treffern der Hauptgrund dafür, dass die DHB-Auswahl das Hauptrundenspiel mit 28:29 verlor und das Viertelfinale verpasste. Die Ungarn scheiterten in der Runde der letzten Acht denkbar knapp an Olympiasieger Frankreich und beendeten die WM auf Rang fünf.

Dieses Resultat sollte das Startsignal für die Jagd auf die erste EM-Medaille ein Jahr später sein. Ungarn war Gastgeber der EURO, und bei allen ihren Spielen war die neue Budapest Arena mit 20.022 Zuschauern ausverkauft. Doch der Druck auf Banhidi, Mikler & Co. war scheinbar zu groß: Mit 28:31 verloren die Gastgeber sensationell das EM-Eröffnungsspiel gegen die Niederlande, gewannen dann zwar glücklich mit 31:30 gegen Portugal - doch nach der denkbar knappen 30:31-Niederlage im letzten Vorrundenspiel gegen Island war die Heim-Europameisterschaft für die mit großen Ambitionen gestarteten Ungarn schon wieder vorbei - die ganze Handballnation war geschockt.

Cheftrainer Istvan Gulyas musste nach dem EM-Debakel gehen, und erstmals bei den beiden Testspielen gegen Deutschland am Samstag in Gummersbach (Anwurf: 17.30 Uhr) und Sonntag in Kassel (16.15 Uhr) wird sein ehemaliger Assistent als Chef firmieren: der Spanier Chema Rodriguez (langjähriger Spieler von Ciudad Real und Veszprem) wurde am Samstag als neuer Trainer der Ungarn präsentiert. Noch bis Ende der Saison 2022/23 wird er parallel Cheftrainer von Benfica Lissabon (Achtelfinalist der European League) bleiben, dann nur noch für den Verband tätig sein - mit dem Ziel Olympia 2024 in Paris.

Erste Aufgabe nach den Tests gegen die DHB-Auswahl sind im April die WM-Play-offs gegen den Sieger der Erstrundenduelle Litauen gegen Israel. „Die Europameisterschaft tut bis heute weh, da dieses Turnier zwei Jahre im Mittelpunkt unserer Arbeit stand. Deshalb setze ich mich für die neue Aufgabe mit doppelter Kraft und dem Willen, es zu beweisen, ein: Ich glaube an das Team und an mich“, sagte Rodriguez bei seiner Präsentation.

In seinem Kader für die Tests in Deutschland stehen viele EM-Teilnehmer - aus unterschiedlichen Gründen mussten aber einige Leistungsträger wie Spielmacher Mate Lekai, Rückraumspieler Richard Bodo und Kreisläufer Banhidi absagen. Unter den drei Legionären, die nicht für ungarische Klubs auflaufen, steht im Stuttgarter Egon Hanusz auch ein Bundesligaspieler.

In der Gesamtbilanz aller Länderspiele spricht die Statistik klar für Deutschland: In bislang 61 Spielen gab es 33 deutsche Siege - die beiden letzten bei der EM 2016 und der WM 2017 - elf Remis und 17 Niederlagen bei einer Tordifferenz von 1411:1311. Die beiden letzten Testspiele beider Mannschaften datieren aus dem April 2014, als die DHB-Auswahl in Oldenburg (28:24) und Lingen (31:24) zweimal gewann.

(BP)

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