Smits: „Wir sind alle ein Trainerteam“
Jugend-Bundestrainer Gino Smits. - Foto: EHF
22.09.2021 U17/18w

Smits: „Wir sind alle ein Trainerteam“

Im Interview spricht der Bundestrainer der erfolgreichen weiblichen U17 über seine Ideen von effektiver Nachwuchsarbeit

Was müssen die Spielerinnen selbst, aber auch die Vereine und der DHB machen, damit sie sich weiterentwickeln? Woran muss sich der deutsche Nachwuchshandball im weiblichen Bereich international orientieren? Und wie beeinflussen Entscheidungsfreude und Eigenständigkeit die Entwicklung von jungen Handballerinnen? Diesen Fragen geht Gino Smits auf den Grund. Der Niederländer führte die weibliche U17 des Deutschen Handballbundes ins EM-Finale von Podgorica, wo man Silber gewann. In diesem Interview charakterisiert Smits auch die wichtigsten Bereiche der Kooperation zwischen Heimverein, Landesauswahl und Nationalmannschaft.

Was ist Ihnen bei der Analyse der EM aufgefallen, woran muss Ihre Mannschaft noch arbeiten?
Gino Smits: Wir haben zum Beispiel beim Tempospiel und beim Umschaltspiel noch Luft nach oben, daran müssen wir arbeiten. Auch im Positionsangriff haben wir Positionen, wo wir noch mehr unser Potenzial ausschöpfen können, zum Beispiel müssen wir Außen und Kreis noch stärker einbinden. Sehr zufrieden sind wir mit den Torhüterinnen. Als Bundestrainer habe ich aber die wenigste Zeit von allen mit den Spielerinnen, deswegen bin ich froh, dass die Vereine so gute Arbeit abgeliefert haben, sonst hätten wir bei der EM nicht Silber gewonnen.

Was waren für Sie darüber hinaus die wichtigsten Erkenntnisse aus Ihrer Tätigkeit beim DHB?
Gino Smits: Alles, was gut für die Entwicklung der Spielerinnen ist, ist langfristig gut für die Vereine und natürlich auch die Nationalmannschaften, bis hin zur A-Mannschaft. Das ist ein laufender Prozess, was die Kooperation von Vereinen, Landesverbänden, Landesauswahlen und schließlich DHB betrifft, wir sind ein großes Trainerteam auf allen Ebenen. Das Wichtige ist, dass alle in die gleiche Richtung arbeiten, und da ist die Rahmentrainingskonzeption die klare Linie für alle Beteiligten. Was alle verinnerlichen müssen, ist, dass wir als Trainer auf den unterschiedlichsten Ebenen keine Konkurrenz zueinander sind, sondern Partner in einem Team.

Wo liegen die Unterschiede im internationalen Vergleich?
Gino Smits: Was wir bei unseren Analysen festgestellt haben, ist, dass wir in jungen Jahren die nötige Qualität im internationalen Vergleich haben, auch in diesen drei genannten Bereichen. Dann aber ziehen andere Länder an uns vorbei. Es müssen alle verstehen, dass das internationale Anforderungsprofil bei einem Turnier wie EM und WM eben ein anderes ist als in der A-Jugend-Bundesliga. Es geht um zentrale Dinge wie die Athletik, die in anderen Ländern deutlich weiterentwickelt ist als bei uns. Es geht um das Entscheidungsverhalten in Angriff und Abwehr und die Variabilität von Technik und Taktik - das sind drei Schwerpunkte, an denen wir alle zusammenarbeiten müssen, und da spreche ich von allen Ebenen - Vereine, Landesverbände und DHB. Dann können wir auch langfristig hohe Qualität in der Nachwuchsausbildung sicherstellen.

Was erwarten Sie von den Spielerinnen konkret?
Gino Smits: Sie müssen selbst eine wichtige Rolle für ihre Entwicklung spielen, was ihre persönlichen Ziele und den Weg dorthin, betrifft. Sie müssen zu diesem Ziel stehen und sie auch gegenüber Eltern und Schule artikulieren. Es geht dabei um ein gutes Gleichgewicht zwischen Leistungssport und Schule. Die Spielerinnen brauchen die richtige Mentalität, was die Einstellung zum Leistungssport betrifft, die müssen auch im Kopf stabil sein - das sind Dinge, die wir im Zusammenhang mit dem Elitekader immer wieder thematisieren. Zum Beispiel ist das Thema Entscheidungsverhalten auch eine Frage der Persönlichkeit, auf dem Feld und außerhalb, denn es hat mit Selbstvertrauen und Verantwortung zu tun. Ich muss ein gewisses Risiko eingehen, ich muss mir etwas zutrauen, was auch schiefgehen kann, ich muss eine Entscheidung treffen. Nur mit dieser Mentalität ist man auch bereit, in der Crunchtime eines Spiels Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.

Das heißt: mehr Freiräume antrainieren?
Gino Smits: Vielleicht sind wir alle oft zu perfektionistisch eingestellt und vergessen, dass es ganz normal ist, Fehler zu machen. Jugendliche müssen entdecken, müssen Erfahrungen machen und dazu gehört es eben auch Fehler zu machen und falsche Entscheidungen zu treffen. Nur so entwickelt sich Selbstständigkeit, so reifen Persönlichkeiten, das gilt für das normale Leben wie für den Leistungssport. Nur wer generell selbstbewusst ist, kann auch selbstbewusst auf dem Feld sein und Verantwortung übernehmen.

Sie haben das Thema Athletik angesprochen - wie wichtig ist da die Kooperation von DHB, seinen Experten und Vereinen?
Gino Smits: Mit Blick auf die Gesamt-Entwicklung ist die Athletik ein ganz wichtiger Punkt, da hat uns Athletik-Bundestrainer David Gröger schon intensiv auf unserem Weg begleitet. Wir hatten keine schweren Verletzungen bei der EM, in den entscheidenden Phasen der Spiele - bis hin zur Verlängerung im Halbfinale - waren die Mädels topfit, wir konnten viel und ohne Qualitätseinbußen wechseln. Im Vorfeld der EM war die Athletik eines der Schwerpunktthemen und die Silbermedaille hat gezeigt, dass das sehr gut funktioniert hat. Und diese Erfahrungen möchten wir nun auch die Vereine und Landesverbände weitergeben, die Mädels sollen deshalb hart und gezielt weitertrainieren.

Die Spielerinnen müssen Widerstände suchen und diese dann brechen, sie müssen mehr machen als andere in ihrem Verein. Sie müssen ihre individuellen Ziele immer höher setzen, um ein höheres Niveau zu erreichen. Sie dürfen nicht nur warten, was ein Trainer von ihnen verlangt, sondern sie müssen selbst vorangehen. Sie müssen es selbst anstoßen, auch was Schule und Elternhaus betrifft.  Das ist dieses Mehr an Kreativität, Selbstständigkeit und Eigeninitiative, was für die Entwicklung so wichtig ist. Das Motto muss sein: ‚Ich bin ehrgeizig und will das unbedingt schaffen‘.

Aber lassen sich diese höheren Trainingsintensitäten mit der Schule vereinbaren?
Gino Smits: Die aktuellen Nationalspielerinnen sind auch Vorbilder in der Schule, der Notenschnitt von fast allen liegt zwischen 1 und 2, sie haben den Leistungsgedanken auch außerhalb des Feldes verinnerlicht, und das ist ein Zeichen für diese positive Persönlichkeitsentwicklung. Wir als Trainer und auch als Lehrer Eltern sind zuständig, um die optimalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Jede Spielerin braucht ihre Freiräume für Schule, Uni, Beruf, denn auch dort hat jede ihre individuellen Bedürfnisse, nicht für alle ist alles gleich.

Das heißt aber auch, dass die Spielerinnen vorzugsweise in Erstliga-Klubs spielen und trainieren sollten?
Gino Smits: Das Niveau im Training ist so wichtig, und das ist eben in der 1. Liga ein anderes als in der 2. und 3. Liga. Die Spielerinnen brauchen in ihrem Trainingsalltag ein permanent hohes Niveau, nicht nur zwei oder dreimal pro Woche. Es geht darum, auch im Training die EM-Wettkampfhärte zu simulieren, um diese dann auch im Spiel zeigen zu können. Vielleicht können Jugend-Nationalspielerinnen auch ein, zweimal pro Woche bei einem benachbarten Erstligaklub mittrainieren oder zu einer männlichen B- oder A-Jugend gehen, um ihr Wurfrepertoire und ihre Variabilität gegen eine physisch stärkere Abwehr zu trainieren.

(BP)

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