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Talentlogistiker, Co-Trainer und Nachwuchskoordinator: Axel Kromer im Interview

23.07.2015
23.07.2015 · Slider, Home, Nationalteams, Junioren Nationalteam, Männer Nationalteam · Von: BP

Talentlogistiker, Co-Trainer und Nachwuchskoordinator: Axel Kromer im Interview

Zweifacher Co-Trainer und seit 1. Juli auch Nachwuchskoordinator - Axel Kromer kann sich über mangelnde Beschäftigung beim Deutschen Handballbund nicht beklagen. Der 38-Jährige aus dem schwäbischen Mössingen ist derzeit als Assistent an der Seite von Markus Baur bei der Junioren-WM in Brasilien gefordert, seit vergangenem Dezember ist der frühere Kreisläufer des VfL Pfullingen auch Co-Trainer von Bundestrainer Dagur Sigurdsson.

Bis Juli war der Sportwissenschaftler und frühere Stabhochspringer hauptamtlicher Landestrainer und Sportdirektor des Landesverbands Württemberg. Bereits seit dem Amtsantritt von Baur als Juniorentrainer im Jahr 2012 ist Kromer dessen Assistent.

In diesem Interview verrät er seine Ziele mit dem deutschen Nachwuchs, was er unter Talentlogistik versteht und warum jeder Drittligatrainer einen potenziellen Olympiasieger in seinen Reihen haben könnte.

 

Wie kamen Sie an Markus Baur, beziehungsweise Markus Baur an Sie?
Axel Kromer: Als Schorsch sein Amt antrat, suchte er einen Assistenten mit Erfahrung im Nachwuchsbereich. Wir hatten in der Bundesliga gegeneinander gespielt, kannten uns sonst aber nicht so gut. Ich hatte gerade meinen Trainerposten in Herrenberg beendet und war offen für Neues. Zudem hatte ich als württembergischer Landestrainer schon Erfahrung mit dem Nachwuchs und im Verband. Dann haben wir uns unterhalten und schnell gemerkt, dass es auch zwischenmenschlich passt. Markus und ich ergänzen uns sehr gut - und es ist eine richtig interessante Aufgabe.

Und wie kam dann Dagur Sigurdsson bei der Suche nach einem Co-Trainer auf Sie?
Axel Kromer: Ich war etwas überrascht, auch wenn ich natürlich schon für den DHB gearbeitet hatte. Ich kannte das System, das war mein Vorteil, und ich hatte eben mittlerweile auch Erfahrung in der Integration von Nachwuchsspielern.

War es für Sie dann eine logische Konsequenz, dass Sie auch zum neuen Nachwuchskoordinator ernannt worden?
Axel Kromer: Das passte vom Aufgabenbereich natürlich sehr gut zu meiner restlichen Tätigkeit und inkludiert viele Dinge, die ich auch schon vorher gemacht hatte. Grundsätzlich habe ich diese Aufgaben ja auch schon in Württemberg übernommen. Aber im Endeffekt habe ich den Job natürlich nur deswegen bekommen, weil mein Vorgänger Wolfgang Sommerfeld neuer DHB-Sportdirektor wurde und die Stelle somit neu besetzt werden musste.

Sie wurden einmal als Deutschlands Talentschmied bezeichnet. Stimmen Sie dem zu?
Axel Kromer: Das habe ich bis jetzt noch gar nicht gewusst! Aber ohne den Beruf des Schmiedes genau zu kennen, klingt Schmied in meiner Wahrnehmung der vielfältigen Aufgaben, die Talentarbeit mit sich bringt, zu einfach. Heißes Eisen mit einem Hammer bearbeiten - das macht doch sicher einer allein, oder? Ich bezeichne mir eher als Talentlogistiker, der Fachkompetenz als Nachwuchstrainer haben muss, gleichzeitig aber auch Netzwerkfähigkeiten. Denn es geht darum, der Gesamtaufgabe eine Struktur zu geben und dem Nachwuchs optimale Fördermöglichkeiten zuteil werden zu lassen.

War es angesichts der vielen jungen Spieler, die nun für die A-Nationalmannschaft auflaufen, der ideale Zeitpunkt, um Nachwuchskoordinator zu werden?
Axel Kromer: Gemeinsam mit den Bundesligavereinen fährt der DHB jetzt die Ernte ein, die schon gesät wurde, als es noch nicht so gut ums A-Team stand – denn gute Jugendarbeit wird schon länger geleistet, es gab schon immer viele Talente. Aber mittlerweile haben die Bundesligavereine erkannt, dass die einheimischen Talente genauso viel Qualität mitbringen wie junge Spieler vom Balkan oder aus Skandinavien. Und mittlerweile erfährt man auch überall eine positive Wahrnehmung, wenn man im DHB-Nachwuchsbereich tätig ist. Das ist meines Erachtens nicht immer so gewesen.

Sind Sie nun also vorrangig für Konzepte und Sichtungen zuständig?
Axel Kromer: Auch das. Es ist im Endeffekt ein Gemeinschaftswerk vieler Gruppen wie DHB, Landesverbände, Bundesligavereine aber auch vieler kleinerer Vereine. Die Spieler werden in ihren Vereinen ausgebildet, und dann gibt es überall Netzwerke, die man nutzen muss. Bei der Koordination des Nachwuchses muss man die überall unterschiedlichen Rahmenbedingungen beachten: Hier gibt es Internate und Bundesligavereine, dort nicht. Man kann das Fördersystem nicht einfach irgendwo überstülpen, wo es nicht passt. Man muss nach regionalen und sogar lokalen Lösungen suchen, um zu sehen, wie und wo die Spieler die besten Entwicklungsmöglichkeiten haben.

Von Wolfgang Sommerfeld übernehmen Sie nun auch die Leitung des Eliteförderkonzepts, das neben Handball auch Schule und Beruf beinhaltet…
Axel Kromer: Ja, wir wollen die Karriere in allen Bereichen voranbringen, dazu gehört auch die berufliche Karriere und Absicherung. Wir sind in diesem Punkt Dienstleister für Talente und Mittler zwischen Sport, Familie, Beruf und Schule.

In der Gesamtstrategie des DHB sind die Ziele für 2020 festgelegt worden. Schauen Sie schon so weit, oder tendieren Sie zu den Aufgaben im Hier und Jetzt?
Axel Kromer: Wir brauchen jetzt die guten Leute, mit denen wir 2020 um das Ziel Olympiasieg mitspielen können. Wenn man sich die aktuelle Struktur der A-Nationalmannschaft anschaut, können alle das Ziel haben, zu dem nur 14 Spieler umfassenden Kader für 2020 zu gehören. Schaut man sich den aktuellen Jahrgang 1994 und jünger an, haben bereits vier Spieler - der jetzt leider verletzte Drux, Wiede, Ernst und Kunkel - im A-Team gespielt, können schon mittelfristig Führungsrollen übernehmen und Stammspieler werden. Man sollte aber nicht nur vier Jahre voraus, sondern auch einmal vier Jahre zurück schauen. Da war beispielsweise Paul Drux als B-Jugendlicher einer unter 240 Spielern auf der DHB-Sichtung, und Erik Schmidt war am Kreis die Nummer zwei bei einem Drittligisten mit durchschnittlich fünf Minuten Spielzeit je Spiel. Im Januar spielten beide bei der WM in Katar eine Rolle. Und anhand der bisher völlig verschieden verlaufenen Karrieren von Drux und Schmidt zeigt sich, welch‘ unfassbare große Zahl von Spielern um die 14 Olympiatickets für Tokio kämpfen werden. Und das Beispiel Schmidt zeigt: Bei jedem Drittligisten kann momentan noch ein potenzieller Olympiasieger spielen - wir müssen ihn nur entdecken, und die Trainer müssen diese Talente fördern.

Nochmal zurück zur Gegenwart: Welche Chancen rechnen Sie den Junioren bei der WM in Brasilien aus?
Axel Kromer: Wir haben als Europameister natürlich hohe Ziele, aber man muss auch sehen, dass wegen unterschiedlicher Gründe sechs Spieler aus dem Europameisterteam nicht in Brasilien dabei sind. Drux und Wiede sind schon im A-Team, für andere angeschlagene Spieler wäre die persönliche Entwicklung in der neuen Saison in ihren Vereinen beim Kampf um Spielzeit möglicherweise ins Stocken geraten, hätten sie eine Verzögerung der Genesung für die WM riskiert. Wir sind also bewusst ein gewisses Risiko eingegangen, und haben die Chancen auf den maximal möglichen Erfolg bei der WM reduziert. Aber unser Ziel ist dennoch das Halbfinale und der Kampf um die Medaillen. Hier kommt uns zugute, dass wir auch ohne die oben genannten Abwesenden die vielleicht größte Breite im Kader aller Nationen haben.