Eine Richtschnur für den Neustart
Die Männer-Nationalmannschaft in Aschersleben. Archivfoto: Sascha Klahn
28.05.2020 Trainer

Eine Richtschnur für den Neustart

Zwei Vorbereitungsphasen und behutsame Steigerung: DHB-Taskforce erstellt Rahmenplan für eine optimale Vorbereitung auf die neue Bundesliga-Saison nach der Corona-Pause

Die Handballsaison 2020/2021 wird unter besonderen Rahmenbedingungen stattfinden, Ligen, Clubs, aber insbesondere die Spielerinnen und Spieler stehen vor einer großen Herausforderung. Die Aufstockung aller Ligen durch die ausgesetzte Abstiegsregelung, die zusätzliche Verdichtung des Wettkampfkalenders durch das Nachholen von nationalen und internationalen Wettkämpfen, eine möglicherweise verkürzte Saison sowie Olympia in Tokio verkürzen die Regenerationszeit nach der Saison zusätzlich.

Erschwerend kommt hinzu, dass der durch die Corona-Pandemie verursachte Lockdown eine für Spitzenspieler ungewöhnlich lange Pause des Trainings- und Wettkampfbetriebs nach sich gezogen hat, viele Hallen sind noch geschlossen, handballspezifisches Training von Mannschaften daher nicht möglich. Daher hat eine Taskforce des Deutscher Handballbundes  unter der Leitung von Sportvorstand Axel Kromer sowie den Bundestrainern Dr. Patrick Luig (Bildung und Wissenschaft) sowie David Gröger (Athletik) und Professor Dirk Büsch (DHB Koordinator Netzwerk Wissenschaft) einen Leitfaden entwickelt, wie eine optimale Saisonvorbereitung aus trainingswissenschaftlicher Sicht für die Vereine der ersten und zweiten Ligen (Männer und Frauen) aussehen könnte.

Hauptziel ist die verantwortungsvolle Rückkehr zum Leistungshandball. Bereits in der vergangenen Woche hatten der DHB, die LIQUI MOLY Handball-Bundesliga und die Handball Bundesliga Frauen eine gemeinsame Taskforce „Return to competition“ eingerichtet.

Ausgangspunkt des Leitfadens ist eine Abfrage zum aktuellen Stand des Trainings und der Rahmenbedingungen bei allen HBF- und HBL-Vereinen. In dieser Woche wurde die „Richtschnur für eine optimale Vorbereitung“ in  zwei Videokonferenzen präsentiert. Dazu waren insgesamt 60 Vertreter von Männerklubs und 30 HBF-Vereinsvertreter zugeschaltet. Die wichtigste Botschaft ist eine deutlich längere, in drei Phasen aufgegliederte Vorbereitung. Die Zeitschiene der Vorbereitung läuft im Optimalfall insgesamt 15 - 17 Wochen, inklusive einer rund 5-7 wöchigen Vor-Vorbereitung, der sich noch einmal eine kurze aktive Sommerpause anschließen kann.

„Einige Spielerinnen und Spieler sind seit dem 10. März ohne jegliche handballspezifische Belastung. Die Strukturen müssen erst einmal wieder aufgebaut werden. Es muss jetzt anders trainiert werden, als zum Start einer normalen Vorbereitung. Man braucht mindestens je nach Ausgangssituation 5 bis 7  Wochen mit kontinuierlicher Steigerung, um auf 80 Prozent der Normalbelastung zu sein - was dann der Wert ist, um nach einer kurzen aktiven Regenerationspause wieder in die reguläre Vorbereitung einsteigen zu können“, sagt DHB-Sportvorstand Axel Kromer. Für ihn das Wichtigste: „Die Vereine müssen das Training langsam hochfahren, um spätere Verletzungen vorzubeugen. Das betrifft speziell die Schulter, aber auch das Knie und das Sprunggelenk.“

Doch Kromer weiß auch um die Besonderheiten der aktuellen Lage: „Ein Problem ist, dass viele Vereine ihre Hallen noch nicht nutzen dürfen und um Hallenzeiten kämpfen müssen.“ Zudem seien die Vereine auch in einer Zwickmühle, was den Neustart des Trainings und die finanzielle Situation betrifft: „Wir hatten die Leitlinien zunächst auch allen Geschäftsführern der HBF- und HBL-Vereine präsentiert. Denn bei dieser langen Vorbereitungsphase müssten die Spieler früher aus der Kurzarbeit genommen werden, und auch die Beiträge zur Berufsgenossenschaft werden dann wieder fällig. Das rechnet sich unserer Meinung aber spätestens dann, wenn man im Herbst keine Ausfälle zu beklagen hat.“

Das sieht Dr. Patrick Luig ähnlich: „Entscheidend ist, dass wir bei allen wirtschaftlichen Problemen die Spielerinnen und Spieler nicht aus den Augen verlieren. Deren langfristige Verfügbarkeit sichert den wirtschaftlichen Erfolg unserer Sportart. Die Spieler haben nun eine für Spitzenathletinnen und Spitzenathleten ungewöhnlich lange Pause, diese ermöglicht zwar kurzfristig Regeneration und Rehabilitation von Blessuren, führt aber über diesen langen Zeitraum auch zu negativen Anpassungen. Konkret: Die Belastungsverträglichkeit für die handballspezifischen Belastungen nimmt signifikant ab. Und es ist jetzt unsere Aufgabe, unsere Athletinnen und Athleten vor existenziellen Problemen zu schützen. Gerade mit Blick auf die besondere kommende Saison muss die Vorbereitung angepasst werden. Standard funktioniert nicht in einer besonderen Situation wie dieser!“

Grundlage für den nun präsentierten Plan ist nicht nur die Abfrage der Vereine, sondern die Macher standen auch in intensiven Kontakt mit der Trainer-Taskforce und Jogi Bitter von der Spielergewerkschaft Goal. „Das zeigt, dass aktuell alle an einem Strang ziehen, das ist ein gutes Zeichen für den Handball“, betont Kromer.

Von dem Vorbereitungsplan sollen aber nicht nur Erst- und Zweitligisten profitieren: „Unsere Empfehlung kann natürlich angepasst an die individuellen Trainingsumfänge auch von anderen leistungsorientierten Mannschaften übernommen werden“, sagt Luig.

„20 Stunden Training und Wettkampf pro Woche sind für die Top-Profis ein Szenario, dass in der heißesten Saisonphase auftreten kann. Darauf müssen die Athletinnen und Athleten vorbereitet werden. Um an diesem Beispiel zu bleiben sollten wir in der Vor-Vorbereitung langsam auf 80 Prozent, also rund 15-16 Stunden, steigern. Aktuell sind die Spielerinnen und Spieler höchstens bei 15-20 Prozent ihrer normalen Umfänge“, hat der Bundestrainer Bildung und Wissenschaft durch die Abfrage der Vereine ermittelt. 

Und das Training das stattfindet, ist fast ausschließlich individuelles Ausdauer-, Kraft- und Athletiktraining. Aber: „Athletik ersetzt keinen Handball. Das bisherige Training seit Mitte März ist eine gute und wichtige Grundlage für die kommenden Wochen. Aber die richtige Belastbarkeit kommt doch erst in wettkampfähnlichen, handballspezifischen Situationen. Das Verhältnis aus Athletik und handballspezifischem Training muss sich wieder einpendeln“, sagt Athletik-Bundestrainer David Gröger.

Er rät den Vereinen in der Vor-Vorbereitung zu einer Steigerung von zehn Prozent pro Woche. Denn das Wichtigste sei, die Belastung nicht zu früh zu schnell zu steigern. „In den ersten beiden Wochen werden die Trainer sehr auf diese langsame Steigerung achten, aber ein Knackpunkt könnte die dritte Woche sein, dann drohen erste Verletzungen.“ Gröger macht dies an Zahlen fest: „In einer normalen Trainingswoche hat ein Profihandballer rund 1000 Würfe und Pässe auf dem Programm, aktuell ist er auf null, wenn er nicht ab und zu gegen eine Wand wirft. Daneben fehlen aktuell schnelle Richtungswechsel, Bremsbewegungen, Sprünge - all‘ das geht eigentlich nur auf einem normalen Hallenboden.“

Grögers Tipp ist zudem ein intensives Monitoring, das heißt die Nutzung spezieller Programme, um Dauer, Intensität und gefühlte Belastung des Athleten zu messen, und so die so genannte Workload zu bestimmen, um ein individuelles Belastungsprofil zu erstellen.

Und was sagen die Bundesligatrainer zum Konzept zum Neustart des Leistungshandballs? Maik Machulla von der SG Flensburg-Handewitt ist begeistert: „Ich finde es super, dass wir Trainer da eingebunden werden, denn wir alle wollen, dass die Spieler bestmöglich vorbereitet werden auf die neue Saison. Dieses Papier ist ein wichtiger Impuls, denn es beinhaltet viele Faktoren, die zu beachten sind. Das Wichtigste ist, dass die Spieler nicht zu schnell überlastet werden nach dieser langen Pause.“

Genau das will auch auch Markus Gaugisch, der neue Trainer des Frauen-Bundesligisten SG BBM Bietigheim, verhindern: „Alle Spielerinnen und Spieler haben das Problem, das derzeit nicht handballspezifisch trainiert werden kann. Daher ist es gut, dass der DHB die Trainer und Spieler mit diesem Plan an die Hand nimmt. Die Bundesligaklubs sind da die Zugpferde, aber auch andere Mannschaften können von diesem Fahrplan profitieren. Trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen ist es diese Richtschnur wichtig.“

Wie Gröger, Luig und Machulla hat er festgestellt: „Es gibt es viele Dinge, die in der Pause verloren gegangen sind, und die man nun wieder behutsam aufbauen muss. Ausdauer, Kraft und Athletik sind wichtig, noch wichtiger sind aber die Aktionen mit Wettkampfcharakter. Es ist eben ein Unterschied, im Wald Sprints zu machen oder im Training mit Gegnerkontakt um einen Ball zu kämpfen. Ohne die richtige Vorbereitung ist die Verletzungsgefahr sehr hoch, daher sind wir auch klarerer Befürworter der Zwei-Phasen-Vorbereitung.“

(BP)

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