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Klühspies-Premiere zum Großfeld-Kehraus

12.07.2023

Das war der Anfang vom Ende des Feldhandballspiels: Am Sonntag, 15. Juli 1973, fand um 11 Uhr das letzte Bundesliga-Endspiel um die Deutsche Meisterschaft des Deutschen Handballbundes (DHB) als damals spielleitende Instanz statt. Im Stadion von Wetzlar standen sich der TV Großwallstadt und der SVH Kassel (vorher SV Harleshausen) gegenüber. Diese zwei Mannschaften hatten sich nach einer Überkreuzrunde als die besten Teams aus den zwei Bundesliga-Staffeln Nord und Süd durchgesetzt. Der TV Großwallstadt darf sich mit dem 13:10-Sieg nach Verlängerung (6:4, 9:9, 13:10) bis heute als letzter Deutscher Meister schmücken, der diesen Titel als „Bundesligist“ erringen konnte. 

Dabei waren die Großwallstädter keineswegs als Favorit in das Finale gegen Angstgegner Kassel vor (nur) 3.500 Zuschauern gegangen, zumal ihr Kapitän und Torjäger Josef Karrer (inzwischen 84) verletzungsbedingt ausfiel. Die äußeren Bedingungen (es regnete in Strömen) waren alles andere als feldhandballfreundlich: „Für mich war es trotzdem ein großer Tag: mein erster Titelgewinn als Deutscher Meister nach der Vizemeisterschaft 1971 in der Halle“, erinnert sich Linkshänder Kurt Klühspies (71), später unter anderem Weltmeister 1978, 104 Einsätze als DHB-Nationalspieler und Weltauswahlspieler in der Halle. In der Chronik des TV Großwallstadt ist an einer Stelle über das Finale nach dem Finale zu lesen: „Der Jubel am Main ist groß. Ein Festzug mit Musik durch den fahnengeschmückten Ort lockt trotz Regen zahlreiche Zuschauer. Nach dem Empfang am Rathaus … gibt es Freibier im Vereinsheim“. 

Genau 50 Jahre nach ihrer ersten und einzigen deutschen Feldmeisterhaft können die TVG-Handballer jetzt ihr „Gold-Jubiläum“ mit Kurt Klühspies als rührigen Chef-Organisator feiern – ob es dann auch wie 1973 wieder Freibier gibt für: Manfred Hofmann (Tor), Dieter Heß, Artur Lichtlein, Thomas Sinsel (1), Günther Adrian, Rainer Oberle (2), Manfred Schwarz, Arno Böckling, Peter Kuß (8), Norbert Klein, Robert Welter, Kurt Klühspies (1), Gebhard Schandel, Wolfgang Dümig (1) und Trainer Josef Karrer und Masseur Josef Jäger? 

Zurück zur Deutschen Meisterschaft auf Großfeld im DHB: In den Jahren 1974 und 1975 gab es mit dem TSV Birkenau und der TSG Haßloch noch zwei weitere Großfeld-Titelträger in der Bundesrepublik. Sie wurden jeweils über Finalspiele aus den Regionalligen ermittelt. Im Olympiajahr 1972 hatte die 1967 gegründete Feldhandball-Bundesliga ohnehin mit Rücksicht auf umfangreiche Vorbereitungen der DHB-Auswahlmannschaft für München pausiert. Apropos München 1972: Spätestens mit der olympischen Hallen-Premiere des Handballspiels und dem überragenden Olympiasieger Jugoslawien mit Trainer Vlado Stenzel (1978 mit dem DHB-Team Weltmeister in Kopenhagen) begann ein neues Zeitalter des Handballs in der Halle; das Großfeldspiel war in den 1920er Jahren in Deutschland entstanden und spätestens seit den 1960er Jahren auch international immer unattraktiver geworden und aus dem Rückzug – denn: 

In anderen (vor allem skandinavischen) Ländern hatte man sich schon viel früher als beim DHB von der Outdoor-Variante mit elf Aktiven getrennt. Nur bis 1965 gab es in der DDR eine zweigleisige Oberliga, danach wurde noch zweimal ein DDR-Meister bei den Männern ermittelt: SC Dynamo Berlin (1966) und der SC Magdeburg (1967). Und was die Frauen angeht, kommen die letzten Großfeldmeisterinnen in der Bundesrepublik vom 1. FC Nürnberg (1968) und in der DDR vom SC Leipzig (1967). 

Jetzt bietet das Ende der Feldhandball-Bundesliga vor genau 50 Jahren (vor allem für die älteren Handball-Fans) die Gelegenheit, sich wenigstens ein paar Namen glanzvoller (westdeutscher) Vereine aus den 1960er und frühen 70er Jahren wieder einmal in Erinnerung zu rufen. Wie wäre es zum Beispiel mit: Grün-Weiß Dankersen (heute GWD Minden), TV Ansbach, TV Krefeld-Oppum, BSV Solingen 98, TuS Dortmund-Wellinghofen, VfL Wolfsburg, TuS Lintfort oder der SG Leutershausen?  

Zum Schluss: Als einer der ganz wenigen glaubte damals DHB-Bundestrainer Prof. Horst Käsler (1926-1987, Sportpädagoge an der FU Berlin) unaufhörlich an die Zukunft des Handballs auf dem Feld und das Nebeneinander mit der Halle: „Großfeld ist eine sinnvolle Ergänzung zur Halle. Im Feld erhält man neue Impulse für die Halle.“ Die Zukunft des Handballs sah jedoch anders aus… 

(Prof. Dr. Detlef Kuhlmann)