Weltklasse auf der Königsposition
23.09.2022 Verband

Weltklasse auf der Königsposition

Der Gummersbach Ex-Nationalspieler Hans-Günther Schmidt wird am 24. September 80 Jahre alt

Er war der weltbeste Handballspieler seiner Zeit: Hans-Günther („Hansi“) Schmidt vollendet am Samstag, 24. September, sein 80. Lebensjahr. Sein Name steht für Tore am Fließband, vorzugsweise von der Königsposition Rückraum links. Sein Markenzeichen ist der verzögerte Sprungwurf, als würde er mit dem Ball in der rechten Hand sekundenlang in der Luft stehen bleiben, um sich dabei in aller Ruhe eine (freie) Stelle im Tor auszusuchen, wo der Ball dann zielgenau landet, ohne dass der Torwart eine Chance gehabt hätte, ihn zu halten.

Bis heute ist uns der 1,98 Meter große „Hansi“ Schmidt als wurfgewaltigen Handballspieler in Erinnerung – entweder im Trikot der Nationalmannschaft des Deutschen Handballbundes (DHB) oder für seinen Verein, den VfL Gummersbach … immer mit der Rückennummer 9, die auch im Handball damals oft dem herausragenden „Goalgetter“ vorbehalten war: Hansi Schmidt war „der“ Torjäger des Handballs in den 1960er und 1970er Jahren.

Hansi Schmidt blickt auf eine außergewöhnliche und wechselvolle Handball-Biografie zurück – ein paar „atemberaubende“ Stationen sollen anlässlich des 80. Geburtstages in Erinnerung gerufen werden: Hansi wurde in Marienfeld/Bannat in Rumänien geboren. Seine Vorfahren waren aus Schwaben dorthin ausgewandert. Mit elf Jahren darf Hansi bereits in der zweiten Mannschaft von Marienfeld mitspielen. Obwohl das Spiel 1:17 verloren geht und er (ausnahmsweise) mal kein Tor erzielt, ruft ihm jemand vom Spielfeldrand zu: „Kind, aus dir wird einmal ein großer Spieler!“ Der Mann (es war der Vereinswirt!) sollte recht behalten. Doch bis dahin ist es noch ein weiter und geradezu „abwegiger“ Weg:

Überragender Handballer. - Foto: imago images

Hansi Schmidt will eigentlich Leichtathlet werden; der Speerwurf ist eine seiner Spezialdisziplinen, doch eine Verletzung wirft ihn zurück. Er bleibt beim Handball, wird vom berühmten rumänischen Handball-Professor Johnny Kunst-Ghermanescu (1925-1997) gefordert und gefördert. Hansi darf als (erster) Sportstudent in Bukarest zum Militär-Klub Steaua wechseln. So erhält er die Möglichkeit, international zu spielen. Und so reifen auch seine Pläne, dem Land irgendwann den Rücken zu kehren … im November 1963 ist es dann schließlich soweit: Hansi ist mit der rumänischen Studentenmannschaft auf Deutschland-Tournee und macht in Köln Station.

Was dann passiert, liest sich in der Biografie über Hansi Schmidt von Johann Steiner („Handball-Geschichten“ über die große Ära des rumänischen Handballs) an einer Stelle ganz dramatisch dann so:
„Um Mitternacht verlässt Hansi das Bankett in Köln, steigt in ein Auto und ist weg. Fünf Minuten später ist sein Verschwinden entdeckt, weitere fünf Minuten später suchen Privatdetektive ihn. Hansi versteckt sich in Hamburg. Ein Onkel vermutet ihn in Gummersbach und ruft Eugen Haas, den VfL-Obmann, an. Und dieser Anruf bringt den Gummersbacher Macher auf die Idee, Hansi ins Bergische Land zu holen. Ein Glücksgriff: einer der besten Spieler auf der Königsposition, ein Weltklassemann wird sich und dem VfL zu Ruhm verhelfen. Hansi ist gerade erst 21 Jahre alt geworden.“

Fortan ist Hansi Schmidt „das“ Gesicht des Handballs in Deutschland und beim Bundesligisten VfL Gummersbach – lassen wir nüchterne Zahlen sprechen, die seine einzigartige Karriere für die Ewigkeit zementieren: Hansi Schmidt spielt 98 Mal für den DHB, wirft dabei 484 Tore, 1970 gegen Jugoslawien sogar 13 von 19 Toren in einem Spiel. Davor hatte er schon 18 Mal für Rumänien gespielt und war im Jahr seiner Flucht mit Steaua Bukarest rumänischer Meister, sowie zweimal Vize-Meister und einmal Meister mit den Junioren (vor 4.000 Zuschauern!). Schmidt war 1962 Europapokalsieger der sozialistischen Armeen mit Finalsieg gegen Dukla Prag. Der internationale Handballverband (IHF) hat ihn als ersten Spieler überhaupt dreimal in die Weltauswahl berufen. Vor diesem Hintergrund kann man gut nachvollziehen, wie schwer es Hansi Schmidt gefallen sein muss, 1972 als amtierender DHB-Kapitän auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen in München zu verzichten…

Für den VfL Gummersbach bestritt der Jubilar 173 Spiele und warf 1066 Tore. Mit Gummersbach wurde er Deutscher Meister in den Jahren 1966, 1967, 1969 und von 1973 bis 1976 ununterbrochen. Hansi Schmidt war von 1967 bis 1971 immerzu Torschützenkönig der Handball-Bundesliga sowie in der Nordstaffel der zweigeteilten Bundesliga von 1967 bis 1972 und nochmals 1975. Mit dem VfL Gummersbach – damals bester Handball-Klub der Welt – gewann er in den Jahren 1967, 1970, 1971 und 1974 den Europapokal der Landesmeister. Wer erinnert sich noch an die großen Spiele in der Dortmunder Westfalenhalle zum Beispiel gegen Mai Moskau, Dukla Prag, Steaua Bukarest und den SC Dynamo Berlin? Insgesamt betritt Hansi Schmidt 53 Europacupspiele mit 338 Toren. In zehn Jahren beim VfL hat der „Mister Europapokal“ nur drei Spiele verletzungsbedingt verpasst, gegen den TuS Wellinghofen wirft er einmal 16 Tore, gegen den THW Kiel beim 17:14-Sieg so viele wie die Kieler insgesamt … und er ist immer noch zweitbester VfL-Torschütze in der Vereinsgeschichte hinter dem Südkoreaner Kyung-Shin Yoon.

Foto: imago images

Beruflich war Hansi Schmidt, der seine Handballkarriere beim TB Wülfrath und TuS Derschlag ausklingen ließ, in Bergneustadt als Hauptschullehrer (unter anderem mit dem Fach Sport) tätig. Da ihm weder Abitur noch Studium aus Rumänien in der Bundesrepublik angekannt wurden, musste er hier völlig neu beginnen und fand in seinem Mannschaftskollegen Klaus Brand (81) einen Kommilitonen, mit dem er an der Sporthochschule Köln sogar eine WG teilte: „Wir haben uns immer gut verstanden. Ich erinnere mich gern an die gemeinsame Studentenzeit zurück, aber ebenso an unsere großen Erfolge auf dem Spielfeld“, sagt Klaus Brand, damals VfL-Mannschaftskapitän. „Ich beglückwünsche Hansi im Namen der alten Gummersbacher Truppe aus den 60er und 70er Jahren. Wir wünschen ihm viel Gesundheit für die nächsten Jahre.“

Für seine sportlichen Verdienste wurde Hans-Günther Schmidt mit dem Silbernen Lorbeerblatt, mit der Sportplakette des Landes Nordrhein-Westfalen und mit der Goldenen Stadtmedaille der Stadt Gummersbach ausgezeichnet. Der Jubilar lebt mit seiner Ehefrau Karin nach wie vor in Gummersbach und erholt sich gerade von einer inzwischen überstandenen Krankheit. Auch mit 80 Jahren verfolgt er immer noch die Spiele seines VfL Gummersbach. Und am Samstag gratuliert Handball-Deutschland seinem ehemaligen Weltklassespieler auf Rückraum links zum 80. Geburtstag, den er im kleinen Kreis mit den Familien seiner beiden Söhne Hans-Günther Jun. (53) und Christoph Eric (50) feiert, die beide als Sportlehrer tätig sind, der „Jun.“ sogar in den USA. Die drei Enkel werden sicher auch irgendwo im Sport landen...

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

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