HSG Konstanz: Mit Mentaltraining zurück in die Erfolgsspur
HSG Konstanz: Mit Mentaltraining zurück in die Erfolgsspur
Ein Unentschieden zum Saisonauftakt in Pforzheim, dann drei Niederlagen in Fürstenfeldbruck und Köndringen/Teningen sowie gegen den Bundesliganachwuchs des HBW Balingen-Weilstetten: der Drittliga-Saisonstart ging für die HSG Konstanz mit 1:7 Punkten richtig in die Hose. Und das völlig unerwartet, war die letzte Saison doch bis zuletzt hervorragend gelaufen und am Ende errang das Team von Daniel Eblen den vierten Tabellenplatz, direkt hinter zwei übermächtigen Topteams aus Coburg und Bad Neustadt sowie dem TV Hochdorf. Coburg stieg in die 2. Bundesliga auf, Bad Neustadt wurde in die Oststaffel eingruppiert. Es folgte eine sehr gute Vorbereitung mit einem überzeugenden Sieg gegen die Nationalmannschaft Lettlands, einem guten Auftritt eben gegen Zweitliga-Aufsteiger Coburg und durchweg positiven Ergebnissen in Vorbereitungsspielen gegen Schweizer Erst- und deutsche Drittligisten. Trainer, Verantwortliche und Umfeld waren zuversichtlich.
Nach vier Spielen war die HSG Konstanz jedoch auf dem harten Boden der Drittliga-Realität angekommen – und immer noch sieglos. Keiner konnte sich so recht den plötzlichen Leistungsabfall des sehr jungen Teams erklären. „Druck“ war das meistgenannte Wort in Erklärungsversuchen, warum die Mannschaft plötzlich derart gehemmt wirkte. Nach drei Niederlagen in Folge wurde er immer noch größer. Der Zufall wollte es, dass ausgerechnet für diesen Zeitpunkt ein schon vor der Saison geplantes Mentaltraining terminiert war. Diplom-Mentaltrainer Tarek Amin hatte Trainer Daniel Eblen und dem Sportlichen Leiter Andre Melchert seine Dienste angeboten. „Das haben wir schon damals, auch ohne die folgenden Ergebnisse zu kennen, gerne angenommen. Es hat uns allen auch privat als Mensch geholfen. Wir forcieren stets die Persönlichkeitsentwicklung gerade der vielen sehr jungen Spieler – und nicht nur in diesem Bereich hat uns diese Erfahrung unglaublich weitergebracht“, beschreibt Andre Melchert beeindruckt den viereinhalbstündigen Workshop mit dem Mentaltrainer Tarek Amin. Tarek Amin, Karate-Militär-Welt-, Afrika- und Mittelmeermeister, deutscher und ägyptischer Meister und auch ehemaliger Nationaltrainer, betreibt sein eigenes Kampfsport-Dojo in Konstanz und bietet nun auch Mentaltraining an. Anfang November wird er die ägyptische Karate-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Bremen im mentalen Bereich betreuen.
Zuvor bewirkte er bei der HSG Konstanz wahre Wunder. Die A-Jugend und die Drittliga-Mannschaft der HSG Konstanz erlebten, wie sie mit dem so oft genannten und so deutlich verspürten Druck umgehen können und sollen. „Wir haben einen andern Blickwinkel bekommen, gelernt, wie wir in bestimmten Situationen reagieren können“, so Andre Melchert, „dabei haben wir in Vorträgen und Übungen – für manche auch überraschend – aufgezeigt bekommen, wer in welchem Bereich wie stark ist und wo Defizite vorhanden sind. Das hilft, sich selbst zu hinterfragen. Zudem kann das, was privat gut ist, auf dem Platz nicht schlecht sein.“ Einige angesprochene Bereiche waren der Umgang mit Kritik und die richtige Motivation.
Den Sportlern nehme er durch Gespräche vor allem den Druck, erzählt Tarek Amin, angesprochen auf seine Arbeit als Mentaltrainer: „Bei Druck ist man gebunden, das macht langsam, weil die Gedanken wie ein Gefängnis sind.“ Gerade in Mannschaften sei der Druck umso größer meint er, da jeder Einzelne auch Verantwortung für das Team trägt und die Mitspieler zwangsläufig durch eigene Fehler mitbestraft werden. „Doch du darfst die Fehler nicht in den Vordergrund stellen, du musst sie hinter Dir lassen“, erläutert Tarek Amin. „Jeder möchte den Kampf im Sport gewinnen, doch zuvor muss man den Kampf in sich selbst gewinnen und wirklich verinnerlichen, sich immer wieder sagen: Ich schaffe es, ich kann es, es ist in mir drin – ich muss es nur rausholen.“ Dazu müsse man lernen, wie man die Konzentration und das Selbstvertrauen stärkt und wie man mit Stress und Ärger umgeht. Entscheidend sei, die innere Kraft zu spüren und das eigene Ziel vor Augen zu sehen. Das Ziel definieren, wahrnehmen, Fragen dazu beantworten: nur so könne man es auch erreichen.
Das Ziel der HSG war klar definiert: Der erste Sieg sollte her, endlich. Ausgerechnet gegen das Spitzenteam TSB Heilbronn/Horkheim, den bislang stärksten Gegner. Es gelang eindrucksvoll. Mit einer bärenstarken ersten Halbzeit und nur 20 Gegentreffern gegen eine der besten Offensivreihen der Liga konnte der langersehnte erste Erfolg gesichert werden. „Ich bin verdammt stolz auf die Mannschaft, ich war leider unterwegs, habe aber am Liveticker mitgefiebert“, erklärt Tarek Amin mit einem Lächeln, „sie haben bewiesen, was sie können, den Gegner ignoriert und sich auf das Ziel konzentriert“. Dies war jedoch nur der erste Streich. Im direkt folgenden Heimspiel gegen Neuhausen/Filder legte die wie entfesselt aufspielende junge Eblen-Truppe nach. Beim 28:18-Sieg hatte der Gegner keine Chance. Der zweite Streich. Als wäre eine innere Bremse gelöst worden, überrollte die HSG nun ihren Gegner förmlich und erinnerte phasenweise auch wieder an jene HSG, die in der vergangenen Spielzeit die Zuschauer in der Schänzle-Sporthalle immer wieder begeistert hatte.
„Natürlich grübelt man nach drei Niederlagen in Folge, es stellen sich Selbstzweifel ein und das Selbstbewusstsein leidet“, umreißt Tarek Amin eine bekannte Begleiterscheinung von Misserfolgen, gerade im Mannschaftssport. „Ich habe es von Anfang an in ihren Augen gesehen: Diese Spieler sind stark und gut. Ich musste ihnen nur einen Weg zeigen, dann haben sie es ganz alleine geschafft“, meint Tarek Amin zum geglückten Befreiungsschlag der HSG Konstanz. Für Andre Melchert war es ein glücklicher Zufall, genau zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Menschen im Training gehabt zu haben: „Tarek hat es geschafft, dass alle sich auf die eigenen Stärken konzentriert haben. Alle waren euphorisiert und fokussiert und haben unglaublich gut trainiert. So positiv sind wir auch in die beiden gewonnenen Partien reingegangen.“ Es hat sich spürbar etwas verändert, das junge ins Grübeln gekommen Team konnte mit dem Druck sichtlich anders umgehen. Besser. Das zeigte schon die Körpersprache in beiden Begegnungen. „Es ist etwas entstanden, die Verkrampfung ist gelöst. Es hat jeder gespürt, was er für sich tun kann und muss. Der mentale Bereich spielt eine große Rolle“, stellt Cheftrainer Daniel Eblen fest, „zuletzt waren wir nicht mehr so blockiert und etwas stabiler.“ Wiedergewonnene Stabilität, die die HSG nun auch beim ungeschlagenen Spitzenreiter Nußloch unter Beweis stellen möchte. Zum ersten Mal in dieser Saison als krasser Außenseiter ganz ohne Druck.