Sportdirektor Sommerfeld: Unser Nachwuchs spielt eine tragende Rolle
Sportdirektor Sommerfeld: Unser Nachwuchs spielt eine tragende Rolle
In den aktuellen Europa- und Welt-Ranglisten liegt der Deutsche Handballbund in Sachen Nachwuchsarbeit ganz vorn - und das zeigt sich auch an vielen Beispielen: Drei Junioren in der Männernationalmannschaft, zwölf von 14 Elitespielern mit tragenden Rollen in der Bundesliga, und der weibliche Nachwuchs spielt bei den Weltmeisterschaften 2014 groß auf.
Wie sich das Eliteförderkonzept im männlichen Bereich bewährt hat und wie es auf die weibliche Jugend übertragen werden soll oder wie individuelle Trainingspläne für Talente zu einer erheblichen Leistungssteigerung führten, dies erläutert DHB-Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld in diesem Interview.
Hat es Sie überrascht, dass der DHB sowohl in der Wertung des europäischen Verbands EHF als auch des Weltverbands IHF die Spitzenposition im Nachwuchsbereich einnimmt?
Sommerfeld: Nein, schon in den vergangenen acht, neun Jahren waren wir immer ganz weit oben zu finden, entweder als Erster oder als Zweiter. Und wir wussten, dass wir in der Nachwuchsförderung sehr gut aufgestellt sind. In der Zwischenzeit haben wir aber gewisse Dinge weiter optimiert, vorrangig die individuelle Förderung der Spieler, aber auch die entscheidende Frage im männlichen Bereich, wie die Anschlussförderung besser organisiert werden kann.
Wie wurde das umgesetzt?
Sommerfeld: Früher war es so, dass unsere im Nachwuchsbereich herausragenden Spieler erst mit 26, 27 Jahren ihre ersten Einsätze mit dem Nationalteam erhielten, weil sie erst dann das internationale Niveau hatten. Mit dem neuen Baustein der Eliteförderung wurde dieser Zeitpunkt - in Kooperation mit den Landesverbänden und den HBL-Vereinen - erheblich vorgezogen. Wenn man sich die ersten 14 Spieler des neuen Elitekaders anschaut, spielen zwölf davon in der 1. Liga, und die Betonung liegt auf spielen. Teilweise haben sie bereits tragende Rollen in ihren Vereinen. Das war für diese Altersgruppe nicht immer so in Deutschland. Schaut man sich zum Beispiel das Männer-EM-Qualifikationsspiel gegen Spanien an, standen dort parallel drei Junioren-Nationalspieler im Rückraum auf dem Feld: Fabian Wiede, Simon Ernst und Paul Drux - alle kommen aus dem Elitekader.
Wie sieht dieses Eliteförderkonzept aus?
Sommerfeld: Ich war Mentor dieses Programms, bevor ich Sportdirektor wurde. Und als Mentor war ich zwischen drei bis fünf Mal jährlich bei jedem dieser Spieler vor Ort, hatte Gespräche mit den Vereinen, aber auch der Schule oder dem Ausbildungsbetrieb, denn das Konzept schließt die duale Laufbahnberatung mit ein, schließlich kann man als Handballer nicht ein Leben lang von seinem Sport leben. Jeder Spieler hat einen individuellen Trainingsplan, der mit den DHB-Trainern, den Landes- und den Vereinstrainern genau abgestimmt ist. Wir fordern nicht etwa Spielanteile ein, sondern ein individuelles Training. Ein Nachwuchsspieler muss anders trainieren als ein 30-Jähriger. Es geht also um die Rahmenbedingungen für die jeweilige Entwicklung - alle Seiten, inklusive natürlich dem Spieler selbst - müssen Verantwortung übernehmen.
Wie wurden in diesem Zusammenhang die Sichtungen angepasst?
Sommerfeld: Wir legen mittlerweile viel mehr Wert auf individuelle Fähigkeiten, nicht auf Gruppen- oder Mannschaftstaktik. Schon in der Sichtung sind die Landestrainer und die HBL-Nachwuchszentren eng eingebunden, alle begutachten die Talente gemeinsam. Und damit befruchten sich beide Seiten gegenseitig. Es geht eben darum, dass Gesamtkonstrukt Handball zu fördern - und wenn es so weitergeht, können wir uns langfristig auf viele gute junge Spieler freuen. Heiner Brand sagte zu Recht, dass im männlichen Bereich keine Nation so viele vielversprechende Spieler im Alter zwischen 21 und 23 Jahren hat wie Deutschland. Und das nicht nur wegen der drei genannten Nationalspieler.
Handelt es sich beim aktuellen U21-Team also um eine Überfliegermannschaft - oder kommen ähnliche Talente von unten nach?
Sommerfeld: Ich denke, bei den Jahrgängen 1994 bis 1996 handelt es sich wirklich um eine goldene Generation, aber auch in den jüngeren Mannschaften finden sich viele hoffnungsvolle Talente. Neben dem Elitekader haben wir ja auch ein Regionalkonzept für solche Spieler, die auf dem Sprung nach oben sind. Die Basis ist also vorhanden. Und schon vor den Sichtungen erhalten potenzielle Kandidaten individuelle Pläne, was zum Beispiel Angriff, Abwehr, Motorik oder Athletik betrifft. So wollen wir diese Spieler individuell verbessern - in diesem Punkt sind uns Länder wie Kroatien oder Frankreich noch voraus, aber wir holen auf.
Im weiblichen Bereich gibt es dieses Eliteförderkonzept nicht...
Sommerfeld: ...noch nicht, denn wir sind gerade dabei, dieses Konzept mit Nachwuchskoordinator Maik Nowak auf die Beine zu stellen. Viele erfolgreiche Aspekte aus dem männlichen Bereich wie das Regionalmentorenkonzept werden wir dort übernehmen. Maik Nowak ist gerade dabei, die Anpassungen vorzunehmen. Wir wollen so viel vereinheitlichen wie möglich statt wie früher so viel zu differenzieren wie möglich.
Bei Mädchen und Juniorinnen war die Anschlussförderung sowieso nie ein Thema…
Sommerfeld: Nein, auf keinen Fall. Und die Erfolge des vergangenen Jahres wie die Silbermedaille bei der Jugend-WM oder die Halbfinalteilnahme der Juniorinnen zeigen ja, dass wir auch dort auf dem richtigen Weg sind.
Wie zeigen sich die aktuellen Fortschritte im Übergang aus dem Nachwuchs- in den Seniorenbereich im männlichen Bereich?
Sommerfeld: Die HBL-Vereine haben das Potenzial unserer Nachwuchskräfte erkannt. Und da viele Klubs in anderen Ländern aufrüsten und Spieler aus der Bundesliga verpflichten, bieten sich viele Plätze für unseren Nachwuchs. Es ist eine große Bereitschaft aller Bundesligatrainer erkennbar auf einheimische Talente zu setzen und dem Nachwuchs die Trainingsbedingungen zu verschaffen, die er zur Entwicklung braucht. Es wird viel individueller mit den jungen Spielern gearbeitet. Und jene Spieler, die aus dem Elitekader kommen, haben noch nie enttäuscht, wenn sie ihre Chance in der Bundesliga bekamen.
Also steht Handball-Deutschland vor einer rosigen Zukunft?
Sommerfeld: Man darf sich nicht auf dem Lorbeer ausruhen, denn es gibt immer noch Bereiche, wo wir Nachholbedarf haben, zum Beispiel in der Athletik. Aber das neue Konzept schlägt an, und wenn alle Spielerinnen und Spieler gesund bleiben, sehe ich der Zukunft sehr optimistisch entgegen.