Auch nach 40 Jahren noch Gänsehaut
Die DDR-Männer bei der Olympia-Medaillen-Übergabe 1980 in Moskau. - Foto: Imago Images/ITAR-TASS
29.07.2020 Verband

Auch nach 40 Jahren noch Gänsehaut

Am 30. Juli 1980 schlug die DDR in Moskau die favorisierten Sowjets / Olympiasieger Wieland Schmidt erinnert sich im DHB-Podcast an die Sternstunde 

An diesem Donnerstag, den 30. Juli 2020, wird Wieland Schmidt vor dem heimischen Fernseher sitzen und sich genüsslich nochmal ein Handballspiel anschauen, das exakt 40 Jahre zuvor in die Handballgeschichte eingegangen war. Der mittlerweile 66-jährige ehemalige Nationaltorwart der DDR, im Trainerteam der weiblichen Jugend-Nationalmannschaft des Deutschen Handballbundes aktiv und Torwarttrainer und der Frauen des HC Leipzig, hat sich diese historische Partie schon so oft angeschaut, speziell die allerletzte Szene des Spiels.  

Es war das Olympiafinale 1980 von Moskau, die kleine DDR war krasser Außenseiter gegen den großen Favoriten und Gastgeber Sowjetunion - aber am Ende sicherte Wieland Schmidt mit einer grandiosen Parade gegen den heranstürmenden Alexander Karschakewitsch mit dem Schlusspfiff den 23:22-Sieg nach Verlängerung, nach 60 Minuten eines dramatischen Endspiels hatte es 20:20 gestanden. Der letzte Wurf prallte von Schmidts Unterarm an die Latte, und von dort zurück ins Feld. 

Im Sonderpodcast des Deutschen Handballbunds (www.dhb.de/schmidt_spotify) lässt Wieland Schmidt 40 Jahre danach noch einmal alle Ereignisse von Moskau Revue passieren. Dabei beweist er ein unglaubliches Detailwissen über den Verlauf des Turniers, die entscheidenden Szenen des Finales, die Party danach in Moskau und die beiden Empfänge in Ost-Berlin und Magdeburg - schließlich standen neben Schmidt vier weitere SCM-Spieler im Kader des Olympiasiegers - und erzählt von den vielen Liebesbriefen, die er nach dem Finalsieg erhielt. 

„Wenn ich an dieses Spiel, und speziell die Siegerehrung denke, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut“, sagt Schmidt im Podcast-Interview mit Chris Klein. Die westliche Welt hatte die Spiele in Moskau boykottiert, die westdeutschen Handballer um Heiner Brand durften den Traum von Olympiagold zwei Jahre nach dem WM-Titel von Kopenhagen nicht leben. Also musste die DDR die Kohlen für Handball-Deutschland aus dem Feuer holen. „Wir waren definitiv nicht der Goldfavorit“, sagt Wieland Schmidt. „Schon der Finaleinzug gegen die übermächtigen Sowjets war ein Riesenerfolg für uns, damit hatte niemand gerechnet.“ 

In der Vorrunde gab es ein Remis gegen Ungarn (14:14) sowie Siege gegen Spanien (21:17), Kuba (27:20), Dänemark (24:20) und Polen (22:21). Dass die DDR-Auswahl mit Legenden wie Peter Rost, Lothar Doering, Ingolf Wiegert oder Frank-Michael Wahl es ins Endspiel schaffte, lag auch an der Stirn von Schmidt. Mit dem Schlusspfiff des entscheidenden Vorrundenspiels gegen Polen wehrte er mit dem Kopf einen Strafwurf des späteren Olympia-Torschützenkönig Jerzy Klempel (insgesamt 44 Treffer) ab. „Ich bekam den Wurf volle Wucht gegen die Stirn, die Schmerzen waren es aber wert“, berichtet Schmidt im DHB-Podcast vom alles entscheidenden 22:21-Erfolg.  

Für das Finale hatten Trainer Paul Tiedemann und sein Assistent Klaus Langhoff eine einfache Taktik parat: „Wir müssen nur Geduld haben. Wenn wir nach 40 Minuten immer noch dran sind, werden die Sowjets hektisch.“ Genau so kam es. „Wir hatten ja nichts zu verlieren“, sagt Schmidt: „Und am Ende waren die Sowjets trotz der vollen Halle so nervös, dass wir sie geschlagen haben. Das war der schönste Tag meines sportlichen Lebens, von den Emotionen vielleicht noch vergleichbar mit meiner Hochzeit.“  

Andreas Michelmann, der Präsident des Deutschen Handballbunds, erinnert sich ebenfalls so gut an das Finale, als ob es gestern gewesen wäre: „Ich war seinerzeit bei der Armee, und wir schauten uns das Endspiel gemeinsam an. Im Kopf fest eingebrannt ist natürlich die Schlussszene, als Wieland Schmidt sich nach seiner Parade den Ball schnappte, durch die Halle rannte und schließlich in Richtung eines sowjetischen Kameramanns warf, der ihn zuvor bei jedem Gegentreffer angegrinst hatte. Ich denke, jeder, der damals zusah, wird sich an diese Sekunden erinnern.“ 

Nach dem Feldhandball-Gold bei Olympia 1936 in Berlin stellte der Erfolg von Moskau den bislang einzigen Titel einer deutschen Hallenhandball-Mannschaft unter den fünf Ringen dar. „Es ist ein einzigartiger Erfolg, Olympia ist das Größte, deswegen war es ja unser großes Ziel, genau 40 Jahre später noch einmal um Olympiagold zu kämpfen“, sagt Michelmann. 

Für den DHB-Präsidenten ist zudem sehr wichtig, dass die handballerischen Erfolge der BRD, der DDR und von Gesamt-Deutschland mittlerweile auf einer Stufe stehen: „Weltmeister der Männer 1978 und 2007, Olympiagold der DDR-Männer 1980, die drei WM-Titel der DDR-Frauen und dann der WM-Titel der Frauen von 1993 sind historische Momente für Ost und West“, betont Michelmann. Daher ist es klar, dass auch alle DDR-Länderspiele für den „Club 100“ des Deutschen Handballbunds gewertet werden, zu dem alle Spielerinnen und Spieler mit 100 und mehr internationalen Einsätzen eingeladen sind. „So ist Frank-Michael Wahl, einer der 1980er Olympiasieger auch Rekordspieler und Rekordtorschütze des DHB“, sagt Michelmann.  

Wahl teilt indes die Meinung des DHB-Präsidenten: „Unser Gold von 1980 ist genau so viel wert wie der WM-Erfolg 1978 der BRD in Dänemark. Nach der Wende haben sich manche schwer getan, die Erfolge der DDR anzuerkennen. Aber das ist vorbei. Jetzt sind beide Titel in einem Topf“, sagte „Potti“ schon vor einigen Jahren. 

Michelmann lobt derweil vor allem die Leistung des damaligen Trainers Paul Tiedemann. „Er ist auf jeden Fall ein Kandidat für die Hall of Fame des deutschen Sports.“ 2014, wenige Monate vor seinem Tod, hatte die Stadt Radeburg ihre Sporthalle nach der Trainerlegende benannt. Der durfte dann wegen des Boykotts der damaligen Warschauer-Pakt-Staaten der Spiele 1984 in Los Angeles nicht um die Titelverteidigung kämpfen. Am Ende gewann die Bundesrepublik Silber hinter Jugoslawien. Für Michelmann ist daher die wichtigste Lehre dieser Zeit: „Nie wieder darf sich der Sport von der Politik derart instrumentalisieren lassen.“  

Olympiafinale am 30.Juli 1980:  
DDR - Sowjetunion 23:22 n.V (10:10. 20:20) 
DDR: Wieland Schmidt (SC Magdeburg), Siegfried Voigt (SC Leipzig) - Hans-Georg Beyer (ASK Frankfurt/Oder/2), Peter Rost (SC Leipzig/4), Lothar Doering (SC Leipzig/3), Günter Dreibrodt (SC Magdeburg), Ernst Gerlach (SC Magdeburg), Dietmar Schmidt (ASK Frankfurt/Oder), Klaus Gruner (SC Leipzig), Rainer Höft (SC Dynamo Berlin), Hans-Georg Jaunich (SC Empor Rostock), Hartmut Krüger (SC Magdeburg/6/5), Frank-Michael Wahl (SC Empor Rostock/5), Ingolf Wiegert (SC Magdeburg/3) - Trainer: Paul Tiedemann, Co-Trainer: Klaus Langhoff  

Alle DHB-Podcasts aus der Reihe „WIR.IHR.ALLE.“ sind unter www.dhb.de/podcast zu finden.

(BP)

News