„Erwartungen an WM übererfüllt“
DHB-Präsident Andreas Michelmann zu WM, Final-Frauen und weiteren Aufgaben
Die Handball-Weltmeisterschaft der Frauen neigt sich dem Ende entgegen. 106 von 108 Spielen sind bereits in den Büchern, am heutigen Sonntag geht es in Rotterdam um die Medaillen – mit dem Endspiel Deutschland gegen Norwegen als ultimativem Höhepunkt in der Ahoy-Arena (ab 17.30 Uhr live bei Sporteurope.TV und in der ARD). Nach dem begeisternden Halbfinale und vor dem sonntäglichen Showdown bilanziert Andreas Michelmann das Turnier. Der Präsident des Deutschen Handballbundes über die sportliche Reise, die am 26. November in Stuttgart begann
Eine Medaille ist bereits sicher – wie fällt nach dem Halbfinale und kurz vor dem Endspiel die Bilanz dieser Weltmeisterschaft aus?
Michelmann: Unsere Erwartungen sind übererfüllt worden. Dass wir gute Gastgeber sein werden, hatte ich erwartet. Das ist sowohl in Stuttgart und Trier als auch in Dortmund deutlich geworden, wo die Spiele mit viel Liebe zum Detail vorbereitet und von unserem sachkundigen Publikum sehr gut und sehr gastfreundlich begleitet wurden. Es ist immer wieder ein Phänomen, dass wir unsere Hallen nicht nur füllen, wenn wir selbst spielen. Das zweite Ziel war das Erreichen des Halbfinals. Mit ihren glänzenden Siegen in Stuttgart und Dortmund und sowie dem für viele überraschend klaren Erfolg über Weltmeister Frankreich am Freitagabend haben unsere Frauen das bereits vor dem Finale geschafft. Dazu gratuliere ich schon jetzt allen Spielerinnen, dem Trainerteam und gesamten Staff. Und ohne zu diesem Zeitpunkt genaue Zahlen zu nennen, sind auch unsere wirtschaftlichen Ziele übererfüllt in dem Sinne, dass die Zuschüsse für die Frauen-WM wahrscheinlich deutlich geringer ausfallen werden, als wir das geplant hatten. Da spielt einfach alles ineinander.
Und dann ist da noch die zur Bewegung gewordene Kampagne „Hands up for more“.
Michelmann: Richtig. Es ist uns gelungen, unter dem Motto „Hands up for more“ gesellschaftliche Themen zu transportieren. In erster Linie war dies das Thema Sichtbarkeit in den verschiedenen Medien und insbesondere die TV-Diskussion. Ich habe das Gefühl, dass wir da inzwischen auch dank der hervorragenden Leistungen unserer Frauen auf einem guten Weg sind. Auch weitere gesellschaftliche Themen haben wir besser transportieren können. Über gleiche Tagegelder und eine Rekordprämie redet es sich ganz anders, wenn Erfolge da sind und nicht nur theoretische Beträge ausgelobt werden. Insgesamt müssen wir uns auf zwei, drei Themen konzentrieren, anstatt zu versuchen, die gesamte Welt zu retten und alles abzudecken.
Was meinen Sie?
Michelmann: Es geht natürlich erstmal weiter um den Frauensport an sich. Wir müssen deutlich machen, dass wir sehr gute, sehr engagierte und auch sehr ambitionierte Frauen haben. Deren Leistungen müssen entsprechend vergütet werden. Dafür müssen wir den Frauen die gleichen Bedingungen für den Sport geben. Daran arbeiten wir schon länger. Auf DHB-Ebene haben wir, soweit ich das sehe, das inzwischen zu nahezu 100 Prozent erfüllt. Das ist ein Baustein für die Leistungssteigerung. Und dann geht es natürlich darum, für gleiche Leistungen auch perspektivisch die gleiche Vergütung zu bekommen. Mir ist schon klar, dass die Frauen im Wesentlichen von dem leben, was sie in den Clubs bekommen. Das können wir jetzt nicht sofort alles lösen. Aber es gehört sich für den Dachverband, mit gutem Beispiel voranzugehen. Das haben wir getan, indem wir die Tagegelder angeglichen haben und indem wir mit den Prämien auch weitestgehend auf Männerniveau angekommen sind. Davon haben sich die Frauen bereits einen großen Teil verdient.
Inwieweit hat diese Frauenweltmeisterschaft einen Impuls gegeben, die Attraktivität des Produktes zu stärken?
Michelmann: Zumindest aus deutscher Sicht sind wir in neue Dimensionen vorgestoßen. Die Frauen haben bewiesen, dass sie bei entsprechender Leistung auch in der Lage sind, große Arenen wie die Westfalenhalle mit mehr als 10.000 Zuschauern zu füllen. Und das braucht natürlich auch als nächsten Schritt für eine größere Sichtbarkeit die Medien, insbesondere das Fernsehen. Da sind wir inzwischen nach einigen Diskussionen auf einem guten Weg.
Was wird nach den Festtagen für den Frauensport und insbesondere für den Frauenhandball in den Alltag mitzunehmen sein?
Michelmann: Es kann auf jeden Fall die Erkenntnis mitgenommen werden, dass der Frauenhandball attraktiv ist und viele Zuschauer verdient. Unsere Frauen-Nationalmannschaft hat auch in einer Art für sich geworben, dass es sicher viele Kinder gibt, insbesondere Mädchen, die jetzt noch einmal verstärkt zum Handball finden werden.
Und zudem?
Michelmann: Wir müssen insgesamt dranbleiben. Die erste Stufe war die Verbesserung der sportlichen Qualität. Da ist einiges passiert, aber es bleibt natürlich auch noch einiges zu tun, um stabil in der Weltspitze zu spielen. Im Alltag muss weiter die Kernerarbeit geleistet werden, dazu gehört auch das Einrichten der Bundesstützpunkte in Stuttgart und Leipzig ab 2027, um dauerhaft absolute Spitzen-Talente zu entwickeln. Zudem geht es immer wieder um mehr Sichtbarkeit und die damit verbundene Chance, als Frau auch vom Spitzensport leben zu können.
Hat Sie diese Energie, die jetzt in dieser Nationalmannschaft erkennbar war, die Aufmerksamkeit und Begeisterung rund um die WM, was Frauenhandball kann – hat Sie all das sogar ein wenig überrascht?
Michelmann: Das hat mich nicht überrascht, sondern es hat einfach nur bestätigt, wozu der Frauenhandball in der Lage ist. Diese Begeisterung hatte ich erwartet. Vor allem, wenn sie mit einer nicht nur starken, sondern auch souveränen, durchgängigen Leistung untersetzt ist, dann ist das mehr als verdient. Und diese Euphorie, die schon zu Beginn in Stuttgart zu spüren war, hat sich von Spieltag zu Spieltag und mit dem Wechsel nach Dortmund gesteigert und mit dem Halbfinalsieg gegen Weltmeister Frankreich ihren vorläufigen Höhepunkt.
Sie begleiten die Entwicklung als Präsident seit 2015 und sind dabei ja auch durch einige Täler gegangen. Wie viel Ausdauer hat das erfordert? Und wie viel Zufriedenheit ist mit dem aktuell Erreichten verbunden?
Michelmann: Zunächst muss ich feststellen, dass bereits mein Vorgänger Bernhard Bauer damit begonnen hat, den Frauenhandball intensiv zu fördern. Aus meiner Erfahrung aus 28 Jahren Kommunalpolitik weiß ich, was es heißt, dicke Bretter zu bohren. Mir war klar, dass das eher ein längerer Weg sein wird, natürlich auch mit Rückschlägen. Vor allem aber war es der Wille des gesamten Verbandes, von Präsidium und Vorstand, den Frauenhandball, so wie er es verdient, mit aller Kraft zu unterstützen. Dabei wissen wir – bei allem Respekt auch vor dem, was die Männer leisten –von der Notwendigkeit einer dualen Karriere, was für die Leistung der Frauen noch mehr Anerkennung mit sich bringt.
Wie viele Meter sind noch zu machen, dass die Öffentlichkeit auch in Deutschland, wie es zum Beispiel in Dänemark der Fall ist, von Handball als Ganzes spricht und weniger in Frauen- oder Männerhandball denkt?
Michelmann: Wir haben jetzt eine Zwischenstufe erreicht, wo wir erstmal zwischen Männer- und Frauenhandball trennen mussten, um dem Frauenhandball überhaupt eine Chance zu geben, sich zu entwickeln. Da findet weiterhin so etwas wie ein Aufholprozess statt, der aber nicht nur auf den Deutschen Handballbund oder auf unsere Sportart begrenzt, sondern der ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, dem sich auch alle in Teamsport Deutschland organisierten Verbände widmen. Dass wir nur noch über Handball reden und es vielleicht auch selbstverständlich wird, als Männertrainer mal bei den Frauen zu arbeiten und umgekehrt, ist noch ein weiter Weg. Aber wir bleiben dran.