Eine runde Sache
Foto: Marco Wolf Schiedsrichtergespann Hanspeter Brodbeck und Simon Reich

Eine runde Sache

03.09.2025 | Verband

 

Die Elitekader-Schiedsrichter Hanspeter Brodbeck und Simon Reich beendeten nach der abgelaufenen Saison überraschend ihre Karriere

 

Die beiden Freunde blicken mit einer Mischung auf Wehmut, Erleichterung und Dankbarkeit auf die Entscheidung und ihre Zeit an der Pfeife - und bleiben dem Handball treu.  

Ein letztes Mal die Sporttasche packen. Ein letztes Mal das Schiedsrichter-Trikot überstreifen. Ein letzter An- und Abpfiff: Sechs Wochen nach ihrem 370. Pflichtspiel für den Deutschen Handballbund stand für Hanspeter Brodbeck und Simon Reich Ende Juli ein letzter Einsatz an. Die beiden Freunde aus Metzingen leiten das Abschiedsspiel von Patrick Wiencek - und verabschiedeten sich damit auch selbst vom Spielfeld.  

„Uns war wichtig, dass wir die Saison voll durchziehen und keine Sentimentalität aufkommen lassen. Deshalb wusste außer Jutta Ehrmann und unseren Familien auch niemand, dass wir aufhören“, erklärt Brodbeck den Grund, warum die beiden Freunde ihr Karriereende erst nach der Spielzeit 2024/25 bekannt gaben. „Umso schöner war es, ganz ohne Druck nochmals die Sporttasche zu packen und ganz befreit ein schönes Abschiedsspiel zu genießen.“ 

Auch, wenn der Abend nicht ohne Wermutstropfen verlief („Ich habe einen freien Tempogegenstoß kläglich verschossen“, flachst Brodbeck), war es ein gelungener Abschied. „Wie der THW Kiel als Verein einen solch tollen Sportler und Typen würdig und mit größter Wertschätzung verabschiedet hat, war ein tolles Event“, sagt Reich. „Wie der THW auch uns als Schiedsrichter verabschiedet hat, war ebenso schön und sehr wertschätzend; dafür danken wir den Verantwortlichen sehr.“  

Mit 41 Jahren sind Brodbeck/Reich eigentlich im besten Schiedsrichteralter; sie gehörten in den letzten Spielzeiten zu den Topgespannen von Ehrmann. 2022 leiteten sie das Endspiel um den DHB-Pokal der Frauen, 2024 wurden sie für das Finale im DHB-Pokal der Männer in der Lanxess Arena in Köln nominiert.  

In den vergangenen Monaten reifte jedoch die Sicherheit, dass der Zeitpunkt für das Karriereende gekommen ist. „Vor ein paar Jahren waren wir schon einmal kurz davor, aufzuhören, aber es hat sich nicht angefühlt, als wären wir fertig“, beschreibt Brodbeck. „Danach haben wir nochmals angegriffen und durften in den letzten Jahren nochmals eine tolle und erfolgreiche Zeit erleben. Jetzt fühlt es sich rund an.“  

Es ist das Ende einer Karriere, die vor 24 Jahren begann: Als Brodbeck und Reich 2001 das erste Mal zur Pfeife griffen, besuchten sie noch gemeinsam die Oberstufe und liefen zusammen in der A-Jugend auf. Die ersten anderthalb Jahre sammelten sie als Einzel-Schiedsrichter Erfahrung, 2003 leiteten sie in der Bezirksliga ihr erstes Spiel im Team. „Am Anfang wollten wir gar nicht unbedingt in die Bundesliga, sondern nur das Logo von unserem Handballverband auf der Brust tragen dürfen“, erinnert sich Reich. „Dieser Button war für uns das große Ziel.“ 

2008 war es soweit: Über den Förderkader stiegen sie in die Oberliga in Baden-Württemberg auf und wurden nur ein Jahr später in die Regionalliga berufen. 2010 folgte die Nominierung für den Nachwuchskader des Deutschen Handballbundes – und nun nahm die Karriere wirklich Fahrt auf. Über den Bundesligakader und das EHF Young Referee Project stieg das Duo zur Rückrunde der Saison 2012/13 in den Eliteanschlusskader auf – und bereits ein halbes Jahr später in den Elitekader. „Das kam für uns alles völlig überraschend“, erinnert sich Reich. 

Das junge Team war zu dieser Zeit buchstäblich auf der Überholspur: 2011 das Debüt in der 2. Männer-Bundesliga, 2012 in der 1. Frauen-Bundesliga, 2013 in der 1. Männer-Bundesliga – und kurz darauf die erste Nominierung für ein Halbfinale beim Finalturnier der Frauen um den DHB-Pokal. „Wir waren blutjung und haben so ein Spiel bekommen. Das war natürlich cool“, blickt Reich zurück. „Der damalige Schiedsrichterwart Peter Rauchfuß hat uns wirklich sehr früh tolle Spiele gegeben.“ 

Ihre Leistung blieb damals auch international nicht unbemerkt – und der europäische Verband rief. So machte das Duo seine ersten Erfahrungen in den europäischen Hallen und leitete 2016 sogar das Finale bei der männlichen U19-Europameisterschaft in Kroatien. 2017 gaben Brodbeck und Reich ihren internationalen Status jedoch aus freien Stücken zugunsten von Job und Familie auf. Das stieß nicht überall auf Verständnis. „Es war auch für uns eine harte Entscheidung, aber rückblickend war sie genau richtig und wir haben sie nie bereut“, betont Reich. „Wir haben  damals gemerkt, dass wir den Aufwand nicht mehr leisten können.“ 

Vor einem ähnlichen Hintergrund trafen sie nun - acht Jahre später - die Entscheidung, die Pfeife ganz beiseite zu legen. „Wir sind ja keine Profi-Schiedsrichter und insofern stellte sich immer die Frage, wie wir Familie, Beruf und die Aufgabe als Schiedsrichter unter einen Hut bekommen können“, beschreibt Brodbeck. „Gelitten hat in den letzten Jahren ganz klar die Familie. Und das darf nun auch wieder anders werden.“ 

Für den Handball verpassten Brodbeck und Reich den eigenen Umzug, weil sie in Norwegen beim Europapokalspiel waren oder die Erstkommunion des eigenen Sohnes, weil sie beim Pokalfinale in Köln waren. Von Schlaf und Familienzeit ganz abgesehen. „Die Nächte sind sehr kurz, wenn man nach einem 20-Uhr-Spiel in Magdeburg noch nach Süddeutschland fährt und um 6:30 Uhr wieder der Wecker klingelt“, stellt Brodbeck trocken fest.  

Jedes Jahr im Frühjahr entschieden die beiden Freunde, ob sie noch eine Saison dranhängen - und in diesem Jahr fiel die Entscheidung das erste Mal gegen den Handball aus. Ein Faktor war die berufliche Entwicklung: Brodbeck leitet seit vergangenen September als Vorstandsvorsitzender ein Sozialunternehmen mit rund 4000 Mitarbeitenden; Reich ist seit Juli als Abteilungsleiter bei einem Automobilzulieferer im Vertrieb für ein großes Gebiet in Europa zuständig. „Es war uns klar, dass wir nicht mehr leisten können, was die Aufgabe als Schiedsrichter mit sich bringt“, betonen beide unisono.  

Die Entscheidung sei „natürlich schwierig [gewesen], weil uns die Schiedsrichterei wahnsinnig viel bedeutet“, sagt Reich und Brodbeck ergänzt: „Genau deshalb, war die Entscheidung andererseits aber auch einfach. Oftmals sind schwierige Entscheidungen ganz klare Entscheidungen. Das ist vielleicht eines der Dinge, die wir in den letzten Jahren lernen durften.“  

Brodbeck/Reich blicken mit einer großen Dankbarkeit auf die vergangenen 24 Jahre an der Pfeife zurück. „Wir durften so vieles erleben, lernen und feiern - mehr als wir uns jemals erträumen hätten können“, sagt Reich. „Wir können wirklich dankbar auf eine unfassbar schöne Zeit zurückblicken.“  

Beim Lehrgang des Elite- und Eliteanschlusskaders wurden Brodbeck/Reich einen Tag nach dem Abschiedsspiel von Patrick Wiencek offiziell verabschiedet (Brodbeck: „Das war wirklich überragend. Dieser Abend wird uns lange positiv in Erinnerung bleiben.“). Zugleich waren sie jedoch bereits in ihrer neuen Funktion vor Ort, denn beide werden dem Deutschen Handballbund als Schiedsrichter-Coach und Delegierter erhalten bleiben.  

„Wir haben viel bekommen und wollen nun auch etwas zurückgeben“, begründet Brodbeck den nahtlosen Wechsel. „Wir hoffen, dass uns das gelingt und freuen uns auf die neue Aufgabe.“ Sie gehen mit Respekt an den künftigen Job heran. „Leicht wird es nicht, denn es ist ein echter Rollenwechsel.“ 

Anders als die Bundesliga-Schiedsrichter*innen, die quer durch Deutschland zu den Spielen reisen, werden Coaches und Delegierte regionaler angesetzt. Für Brodbeck/Reich bedeutet das: Weniger Flensburg oder Lemgo, sonder eher Göppingen oder Stuttgart. Am Tisch als Delegierter oder als Coach auf der Tribüne wird zudem, das sagen beide offen, der Druck anders sein.  

„Zugegebenermaßen waren wir zuletzt nach einem heißen Spiel am Folgetag - körperlich wie mental - nicht mehr so frisch, wie das vielleicht vor zehn Jahren der Fall war“, beschreibt Reich. „Mit unseren beruflichen Aufgaben können wir uns das aber nur bedingt leisten. Coaches und Delegierte haben diesen Druck und diese Anstrengung nicht in gleichem Maße wie die Referees und insofern hoffen wir, dass wir die neue Aufgaben dann auch bestens mit Beruf und Familie vereinbaren können.“  

 Ganz Abschied von ihrer Leidenschaft Handball zu nehmen („dem schönsten Sportart der Welt, den tollsten Arenen unseres Sports, mit großen Sportlerinnen und Sportlern“), konnte sich das Duo nämlich auch nicht vorstellen. „So können wir weiterhin einen Teil dazu beitragen, dass sich das Schiedsrichterwesen weiterentwickelt und wir alle zusammen weiterhin tollen Handballsport erleben“, sagt Reich. „Und das ist eine schöne Aufgabe.“