„Vor 50 Leuten zu pfeifen, ist häufig schlimmer als vor 2.000“
Foto: Ronald Goettel Im Bild: Felix Henker & Stefan Schirmacher

„Vor 50 Leuten zu pfeifen, ist häufig schlimmer als vor 2.000“

12.08.2025 | Verband

 

Von der 3. Liga in den Bundesliga-Kader

 

Die Schiedsrichter Felix Henker und Stefan Schirmacher aus Sachsen sind seit 15 Jahren gemeinsam unterwegs. Zu dieser Saison gelang den beiden 39-Jährigen der Aufstieg aus der 3. Liga in den Bundesligakader des Deutschen Handballbundes. Im Interview spricht das Duo über die neue Herausforderung, den Vorteil von Lebenserfahrung beim Pfeifen und die Bedeutung von Geduld. 

 

Sie sind in diesem Sommer aus der 3. Liga in den Bundesligakader aufgestiegen. Wie groß ist die Vorfreude auf die neue Spielzeit?  

 

Stefan Schirmacher: Die Freude über den Aufstieg war natürlich groß und auch die Vorfreude ist riesig, aber ebenso die Erwartung an uns selbst, dass wir das auch gewuppt kriegen 

 

Felix Henker: Thorsten Zacharias hat es auf dem Lehrgang am vergangenen Wochenende gesagt: Zuletzt sind die Aufsteiger nicht wieder abgestiegen, sondern haben sich im Bundesligakader gehalten. Das ist jetzt unsere Herausforderung. Es wäre bitter, wenn wir das erste Team seit mehreren Jahren wären, dass direkt wieder runtergeht. Wir haben mehrere Jahre versucht, hochzukommen und waren im Dunstkreis, es hat immer wieder Gründe gegeben, warum das nicht gelungen ist und dass wir es jetzt geschafft haben, ist eine tolle Sache.  

 

Stefan Schirmacher: Wir haben uns vorgenommen, möglichst gelassen in die Saison zu gehen. Das Motto ist: Alles kann, nichts muss. Diese Einstellung hat uns in den letzten Jahren ausgezeichnet. So haben uns die Rückschläge nicht heruntergerissen, sondern wir konnten nach der ersten Enttäuschung immer weitermachen.  

 

Mit 39 Jahren gehören Sie als Neulinge im Bundesligakader trotzdem zum älteren Drittel. 

 

Stefan Schirmacher: Man muss ganz ehrlich sagen: Wir hätten selbst nicht gedacht, dass die Verantwortlichen ihr Vertrauen in zwei 39-Jährige setzen würden. Ob es eine Altersgrenze gibt, weiß ich gar nicht, aber uns wurde vor der Saison gesagt, dass der Aufstieg schon dieses Jahr passieren müsste, wenn wir hoch wollen, sonst wären wir an einem Punkt, wo man festhalten müsse: Wir sind gute Drittliga-Schiedsrichter, aber für mehr wird es nicht reichen.   

 

Felix Henker: Wir fanden es gut, dass es dieses Jahr endlich so offen ausgesprochen wurde. Die Verantwortlichen haben für den Aufstieg einfach noch einen weiteren Schritt erwartet.  

 

Was war dieser Schritt?  

 

Felix Henker: Das sind wir in den letzten Wochen immer wieder gefragt worden. Natürlich haben wir versucht, eine Antwort zu geben, aber ganz ehrlich: Eigentlich wissen wir es auch nicht (lacht). Wir finden nicht, dass wir uns groß verändert haben. Vielleicht hatten wir eine andere Gelassenheit auf dem Spielfeld, weil wir nicht mehr verkrampft sind, sondern dachten: Wenn es klappt, klappt es - und wenn nicht, haben wir eben Pech gehabt. Das hat uns vielleicht geholfen.  

 

Stefan Schirmacher: Wir bereiten uns immer akribisch auf einen Einsatz vor und am Anfang der Saison hat Thore (Thore Poguntke, Schiedsrichterwart der 3. Liga, Anm. d. Red.) uns gesagt: Fahrt doch einmal zu einem Spiel und pfeift, ihr könnt das doch. Mit einer kurzfristigen Ansetzung hat er uns dann einmal dazu gezwungen und das Spiel war für uns vielleicht der letzte Kick, den wir gebraucht haben.  

 

Inwiefern?   

 

Stefan Schirmacher: Er rief mich an einem Samstag um neun Uhr in der Früh an, ob wir um 18:30 Uhr in Wilhelmshaven sein können. Felix kommt aus Dresden und ich habe zu Thore gesagt: Wenn ich Felix bis 9:30 Uhr erreiche, dann ja, sonst schaffen wir es zeitlich schlicht und einfach nicht. Ich habe ihn erreicht und wir haben sofort die Tasche gepackt und sind ins Auto gesprungen. Wir kannten die beiden Mannschaften, aber da war nichts mehr mit einer großen Vorbereitung. Es war auch noch das damalige Spitzenspiel - und Thore saß als Coach auf der Tribüne. Wir haben unsere beste Saisonleistung gepfiffen (schmunzelt).  

 

Felix Henker: Das hat uns viel Druck genommen. Am Ende hat in dieser Saison auch einfach alles gepasst. Wir hatten Glück mit den Ansetzungen und den Spielverläufen. 

 

Was sind Unterschiede zwischen dem Lehrgang des Bundesligakaders im Vergleich mit der Maßnahme des Drittligakaders?  

 

Stefan Schirmacher: Ganz klipp und klar: Die Leistungsdichte. Wir sind fit und beim 30-Minuten-Lauf im Drittligakader auch so manch jungem Gespann „weggerannt“, aber mit den gleichen Werten liegen wir hier gerade im Mittelfeld. Auch der eigene Anspruch von den Gespannen ist merkbar höher, aber das ist gut und das haben wir auch erwartet.  

 

Felix Henker: Man spürt es auch in den Gesprächen; in der Schule würde ich es Fachsprache nennen. Die Schiedsrichter-Teams aus der Bundesliga unterhalten sich mit einer anderen Terminologie, weil Spielverständnis und Regelkenntnis auf einem anderen Level sind. Das ist ein ganz gewaltiger Unterschied. Und es wird, wie wir das im Rückblick auf die Saison erlebt haben, weniger über einzelne Fehler gesprochen, wenn er nicht spielentscheidend war. Das ist in der 3. Liga und auch darunter mitunter anders.  

 

Inwiefern sind Sie sich der größeren Aufmerksamkeit bewusst, unter der Schiedsrichter auf der Bundesliga-Bühne stehen?  

 

Stefan Schirmacher: Medial wissen wir nicht, was auf uns zukommt, aber ich glaube, auf das Drumherum an Spieltagen, was Zuschauer und Druck angeht, sind wir gerade durch die letzten zwei, drei Jahre in der 3. Liga vorbereitet. Wir haben letzte Saison vor 4.400 Zuschauern gepfiffen und haben regelmäßig Topspiele, Druckspiele oder Derbys vor mehr oder weniger ausverkaufen Hallen gehabt. In diesem Punkt kann nur der eigene Kopf zum Problem werden, wenn er uns immer wieder daran erinnert, dass wir jetzt im Profibereich sind. 

 

Felix Henker: Was die Zuschauer angeht, bin ich tatsächlich relativ gelassen, weil es häufig schlimmer ist, vor 50 Leuten zu pfeifen als vor 2.000 (schmunzelt). Bei 50 Zuschauern hörst du jedes Wort, der Einfluss ist unmittelbar, das verschwimmt, je mehr Menschen in der Halle sind, einfach nur noch zu einer Geräuschkulisse. Es ist tatsächlich die mediale Aufmerksamkeit, die wir nicht einschätzen können. In der 3. Liga tauchst du bei handball.net im Hintergrund eines Videos auf, weil du ein schönes Tor pfeifst - in der 2. Bundesliga der Männer oder 1. Bundesliga der Frauen landest du mit einer Fehlentscheidung viel schneller auf Instagram. Wir dürfen aber nicht mit Angst in die Spiele gehen, denn dann versagt man auf jeden Fall; wir wollen Spaß haben und es genießen.  

 

Was erwartet Sie spielerisch?  

 

Felix Henker: Das Tempo wird noch einmal deutlich zunehmen und dementsprechend die Erwartung an uns, schneller und vor allem klar zu entscheiden. Obwohl wir schon Frauen-Erstligisten und Männer-Erstligisten in Testspielen gepfiffen haben, sind unsere Erwartungen an uns selber groß, in die neue Rolle schnell hineinzuwachsen. Viele Mannschaften kennen uns noch nicht und werden mit allen Mitteln arbeiten - von Schauspielerei bis zu Einflussnahme -, weil es um jedes Tor und jeden Punkt geht. Wir müssen uns unser Standing erst erarbeiten.  

 

Haben Sie es einfacher als ein Gespann, welches aus der Jugendbundesliga in den Nachwuchskader kommt und erste Bundesligaerfahrung sammelt, weil Sie eben schon ein gewisses Alter mitbringen?  

 

Stefan Schirmacher: Es wird zumindest oft gesagt, dass unser großer Vorteil gegenüber den jungen Kollegen die Lebenserfahrung ist. Wir sind seit 15 Jahren gemeinsam unterwegs, haben über knapp 500 Spiele zusammen erlebt und auf Drittliganiveau wahrscheinlich alles, was auf Spielfeld passieren kann, gesehen.   

 

Felix Henker: Wir haben in der 3. Liga viel über Persönlichkeit und Kommunikation gelöst - das war durchaus ein Unterschied zu jüngeren Kollegen, die in der 3. Liga neu ankommen mussten. Ob das in der 2. Liga für uns auch funktioniert, kann ich nicht abschätzen. Wir müssen gucken, wie unsere Art ankommt.  

 

Stefan Schirmacher: Als wir vor zwei oder drei Jahren auf dem Lehrgang des damaligen Aufstiegskaders der 3. Liga waren, hat Jutta Ehrmann (Leiterin Schiedsrichterwesen im DHB, Anm. d. Red.) einen Satz gesagt, der bei mir hängengeblieben ist. Sie sagt, dass sie von einem Aufstiegsgespann kein Gamemanagement erwartet, sondern korrektes Pfeifen. Anders gesagt: Einen Namen kannst du dir auf diesem Niveau nur über richtige Entscheidungen machen. Da brauchst du am Anfang nicht versuchen, irgendetwas schön zu reden, sondern musst es einfach - in Anführungsstrichen - direkt richtig machen.  

 

Es gibt für Schiedsrichter zwei Wege in die Bundesligen - über den Perspektivkader und die Jugendbundesliga den Schritt in den Nachwuchskader zu machen oder sich im sehr heterogenen Drittligakader mit 60 Gespannen durchzusetzen und am Ende ganz oben zu stehen. Es ist ein Nadelöhr, weil in der Regel nur ein Team pro Saison diesen Weg nehmen kann. Wie stolz sind Sie, dass Sie es auf diesem Weg geschafft haben?  

 

Stefan Schirmacher: Ich bin schon sehr stolz auf uns. In unserem Umfeld kenne ich sonst keinen, der die komplette Tippel-Tappel-Tour gemacht hat. Wir haben im Bezirk angefangen und sind Schritt für Schritt aufgestiegen. Wir waren nie in einem Förderkader oder hatten sonst eine Überholspur, wir haben uns hochgearbeitet. Dass wir diese Geduld aufgebracht haben, dass wir durchgehalten haben, darauf bin ich stolz.  

 

Felix Henker: Als wir damals noch im Bezirk waren, hieß es: „Wir können euch nicht hochlassen, wir brauchen auch im Bezirk gute Schiedsrichter.“ In dem Moment haben wir begriffen, wie einfach einem Steine in den Weg gelegt werden können und dass es immer Dinge geben wird, die wir nicht beeinflussen können. Für uns war das Pfeifen wie ein sportlicher Wettkampf, wir wollten so hoch wie möglich kommen. Jetzt sind wir in der Bundesliga und wollen so lange wie möglich dabeibleiben.  

 

Stefan Schirmacher: Jetzt auf dem Lehrgang des Bundesligakaders sitzen zu dürfen, ist eine große Wertschätzung für uns. Wir haben den Aufstieg gepackt und das macht uns einfach stolz. Peter Behrens hat es gesagt: Ihr gehört zu den 100 besten Schiedsrichtern in Deutschland. Das erreicht zu haben, freut uns natürlich.  

 

Was wäre der Ratschlag, den Sie jungen Gespannen aus Ihrer Erfahrung geben würden?  

 

Stefan Schirmacher: Für mich ist das goldene Wort Geduld. Wir sehen im Landesverband, wenn wir dort als Unterstützung im Coaching unterwegs sind, oft junge Schiedsrichter, die ganz schnell nach oben wollen und in den kommenden drei Jahren für sich zwei Aufstieg geplant haben. Das ist oft viel zu schnell. Ich sage dann gerne: Nehmt euch Zeit und arbeitet konsequent an euch. Es reicht nicht, sich Ziele zu setzen, man muss auch etwas dafür tun. Wenn ich nach oben will, muss ich mehr machen als die anderen in meinem Kader und ich muss mich anbieten. Und auch unterhalb der 3. Liga fordert das Pfeifen schon viel vom Privatleben.  

 

Felix Henker: Es braucht auch Demut, denn es geht nicht in erster Linie um die eigene Karriere. Jutta hat es schön gesagt: Erst kommt das Spiel, dann die Spieler, dann die Schiedsrichter. Wir brauchen Demut als Schiedsrichter und müssen allen Beteiligten auf Augenhöhe begegnen.